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Fleischkonsum im Kreis Wittenberg Diese Auswirkungen hat mehr Mindestlohn auf Fleischer in der Region Jessen

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten fordert mehr Geld für die Beschäftigten der Fleischindustrie. Wie örtliche Fleischer dies einordnen und wie deren Lage ist.

Von Thomas Keil Aktualisiert: 31.01.2025, 18:20
Heike Schirmer ist eine von etwa 50 Verkäufern der Neumarkt-Fleischerei aus Jüterbog. Normalerweise offeriert sie den Hackepeter in der Filiale in Elster, doch Ende Januar hilft sie in Jessen aus.
Heike Schirmer ist eine von etwa 50 Verkäufern der Neumarkt-Fleischerei aus Jüterbog. Normalerweise offeriert sie den Hackepeter in der Filiale in Elster, doch Ende Januar hilft sie in Jessen aus. (Foto: Thomas Keil)

Jessen/MZ. - Für Willy Hecht ist die Sache klar: Mit nur 140 Gramm Fleisch und Wurst kommt er am Tag nicht hin. Er verzehre mehr. Kein Wunder, als Fleischermeister mit eigenem Laden samt Wurstküche sitzt er ja auch an der Quelle.

Vom Knochen auf den Teller

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) hat mitgeteilt, dass der durchschnittliche Fleisch- und Wurstkonsum seit Jahren im Sinkflug ist. „Es werden derzeit pro Kopf etwa 140 Gramm verzehrt.“ Im Landkreis Wittenberg summiere sich dies auf insgesamt rund 6.300 Tonnen Fleisch pro Jahr.

Für deren Produktion sorgen laut NGG im hiesigen Kreis etwa 240 Menschen. „Das ist ein Knochenjob“, macht Christian Ullmann klar. Eine Schweinekeule wiege zwischen 5 und 10 Kilogramm, ordnet der Geschäftsführer der NGG Leipzig-Halle-Dessau ein. Diese Arbeit in der Fleischindustrie gelte es, in Zukunft besser zu vergüten. So soll der Mindestlohn nach NGG-Plänen von derzeit 12,82 Euro Pro Stunde auf 14,5 Euro pro Stunde steigen.

Welche Auswirkungen diese Forderung haben wird, erfragte die MZ bei einigen Fleischereifachgeschäften der Region.

Am liebsten gebrüht oder roh

Den Trend der Verkaufszahlen bestätigt der eingangs genannte Schweinitzer Fleischermeister Willy Hecht. „Das liegt an den Preisexplosionen“, ist er sich sicher. Zwar sei auch vor 2022 eine gewisse Stagnation zu spüren gewesen, aber seit dem gehe es rasant bergab.

Der Schlachthof im nordsächsischen Belgern (Foto)  beliefert auch den Schweinitzer Fleischermeister Willy Hecht.
Der Schlachthof im nordsächsischen Belgern (Foto) beliefert auch den Schweinitzer Fleischermeister Willy Hecht.
(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

Fleisch- und Wurstverkauf halten sich bei ihm die Waage. „Dabei sind Brüh- und Rohwürste die Renner.“ Insbesondere die sogenannte Stadtwurst werde gerne gekauft. „Das ist eine Art Bockwurst mit Zwiebeln.“ Das Fleisch dazu beziehen sie aus regionalen Quellen wie beispielsweise aus dem nordsächsischen Belgern oder auch aus Holzdorf. Mit ihm seien es drei Fleischer, die in seiner Wurstküche stehen.

Die Sache mit dem Mindestlohn sieht er derzeit entspannt. „Momentan zahlen wir über dem Minimum.“ Sollte sich allerdings die NGG mit ihrer Forderung durchsetzen, dann müsse er die Preise anheben.

Ausblutender Rand

Von einst mehreren ist Karsten Hoffmann der letzte Fleisch- und Wurstexperte in Annaburg – und auch in seinem Laden. „Montag und Dienstag produziere ich“, sagt der Fleischer. Anschließend stehe er ab Mittwoch im Geschäft und verkaufe die Waren. „Meine Hausmacherwurst geht am besten“, ordnet er ein. Angestellte, die ihm helfen? Fehlanzeige. So endet sein Gespräch mit der MZ abrupt, als Kundschaft den Laden betritt. Zumindest dürfte ihm als Einzelkämpfer die NGG mit ihren Lohnforderungen relativ wurst sein. Bei ihm sei die verkaufte Menge ebenso im Sinkflug. „Uns sterben die Kunden tatsächlich einfach weg“, verweist er auf die allgemeine Lage am Rande der Annaburger Heide. Mittlerweile sei außer dem Edeka und dem Bäcker kaum noch ein Einzelhändler da.

„Der Wochenmarkt war einst der schönste weit und breit, zog sich bis zum Schloss“, erinnert er sich wehmütig. Jetzt sei es kaum noch ein Handvoll Händler. „Der Thai-Imbiss ist schon wieder weg.“

Jessen dagegen sei ein ganz anderes Pflaster. Dort brenne bei den Kollegen sozusagen der Baum. „Aber wir sind hier in Annaburg total am Arsch.“ Er lebe mittlerweile hauptsächlich von den Auswärtigen. Im Laufe der Zeit habe sich das Geschäft quasi gedreht. „Früher machte der Laden 90 Prozent des Umsatzes aus, heute überwiegt der Partyservice.“ Fleisch verkaufe er nur noch wenig. „Die große Masse ist die Wurst.“ Wäre es umgedreht, dann hätte er schon lange zusperren müssen.

Hochwertiges geht immer

Den allgemeinen Trend des fallenden Verbrauchs erkennt auch Steffen Papendorf. „Der geht an uns aber großteils vorbei“, bleibt er entspannt. Der Geschäftsführer der Neumarkt-Fleischerei aus Jüterbog betont, dass diese sehr hochwertige Fleisch- und Wurstwaren in ihren Verkaufsstellen anbiete. Davon sind vier Filialen auch im Jessener Raum zu finden. „Unser Einzugsgebiet reicht rund und roh von Potsdam bis Schweinitz.“

Auch bei ihm geht die Wurst besser als das Fleisch. „Der Hackepeter ist unser Verkaufsschlager.“ Koscheres oder Halal-Produkte für jüdische oder muslimische Kunden spielen keine Rolle. „Da fehlt die Nachfrage“, ordnet er ein. Veganes? Ja, tatsächlich habe man auch als Fleischer darüber nachgedacht. „Aber die dafür erhältlichen Rohstoffe widersprechen unseren Qualitätsansprüchen.“ Zum Beispiel gebe es kaum genetisch unverändertes Soja.

Die Jüterboger beziehen ihr Fleisch vom eigenen Hof. „Unser Mutterbetrieb hat eine Tierproduktion.“ Die meisten seiner 60 Mitarbeiter sind im Verkauf beschäftigt. „Knapp 50“, umreißt er. Weitere zehn Kollegen stünden in der Wurstküche.

Die NGG-Forderung hält er für wenig zielführend. Wenn der Mindestlohn erhöht würde, bliebe den Menschen trotzdem nur so wenig wie jetzt im Portemonnaie. „Höherer Lohn führt zu steigenden Preisen, so dass man doch wieder mehr ausgibt und dann vom Mehr nichts übrig bleibt.“ Den bisherigen Mindestlohn begrüßt er: „Dieser war richtig.“ Die bei ihm gezahlten Gehälter bewertet er als ordentlich. „Wir zahlen bereits über dem aktuellen Mindestlohn“, macht er klar.