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«Dann ging's rasend schnell»

Von H.-Dieter Kunze 22.04.2005, 16:32

Holzdorf/MZ. - Frank Becker flog damals, an jenem 24. April 1984, die Unglücksmaschine MiG 21 SPS / K (674). Problemlos kam er damit in die Luft, drehte seine Übungsrunden und wollte dann wieder auf dem NVA-Flugplatz Holzdorf des Jagdgeschwaders 1 "Fritz Schmenkel" landen. Plötzlich gab es gegen 12.30 Uhr Probleme. Bug- und linkes Fahrwerk waren draußen. Doch das rechte blieb in den Tragflächen, ließ sich einfach nicht ausfahren.

Frank Becker, damals im Dienstrang eines Leutnant und 24 Jahre alt, meldete den Vorfall über Funk an die Flugleitung. Eine "Bauchlandung" auf dem Rasen neben der Start- und Landebahn in Holzdorf wollte der Diensthabende dem noch relativ unerfahrenen jungen Piloten, der gerade die Fliegerschule absolviert hatte, nicht zumuten. Deshalb kam "von unten" der Befehl: "Aussteigen!". Frank Becker hatte außerdem nicht mehr viel Kerosin in den Tanks. Er steuerte die Maschine in Richtung des für Notfälle vorgeschriebenen Absturzgebietes am Rande der Glücksburger Heide zwischen Mügeln und Lindwerder. "Dann ging alles rasend schnell." Becker schaltete das Triebwerk ab, setzte sich aufrecht in den Sitz und zog die zwei Hebel des "Schleudersitzes". Das etwa zehn Meter lange Teleskoprohr fuhr aus. Der Sitz mit dem Piloten fuhr daran mit einer Beschleunigung vom 20-fachen der Erdanziehung hinauf. Die zehn Meter waren notwendig. Ansonsten hätte das Höhenleitwerk den Piloten zerfetzt wie ein Blatt Papier. Der Fallschirm entfaltete sich, Becker schwebte der Erde entgegen.

Über ihm donnerte eine andere MiG aus Holzdorf in äußerst geringer Höhe hinweg: "Verdammt, hoffentlich versengt mir dieser Idiot nicht meinen Fallschirm." Dann kam noch die 380-kV-Hochspannungsleitung. Der Leutnant zerrte wie ein Irrer an allen Steuerseilen des Schirms und überquerte die Leiterseile haarscharf. "Ich hatte wirklich keinen Bock darauf, in der Leitung zu verglühen". Krachend, aber unverletzt kam er schließlich auf. Sekunden später schlug die Sitzwanne, 50 Kilogramm schwer, kurz hinter seinen Hacken ein. "Das Ding hätte mich fast erschlagen", gruselt es Frank Becker noch heute. In den Schulungen wäre ihm davon nichts erzählt worden.

Fluchend stapfte Becker aus Lindwerder kommend über den Acker Richtung Absturzstelle. Da kam ihm Günter Rothe aus Mügeln entgegen, der den Vorfall beobachtet hatte. "Seine erste Frage war", so Becker, "wie teuer war denn die Kiste?" Dann kam der Dienst habende Arzt aus der Gemeinde Holzdorf. Er nahm dem Leutnant erst einmal die Pistole vom Typ "Makarow" ab. Als erster NVA-Vertreter meldete sich in der Nähe der Absturzstelle der Politkommissar des Jagdgeschwaders 1. Becker wurde nach medizinischer Erstuntersuchung nach Holzdorf gefahren. Parallel dazu begannen die Bergungsarbeiten der Unglücksmaschine. Die zerschmetterten Teile wurden in einer Halle auf dem Flugplatz Holzdorf akribisch ausgelegt. "Die haben nicht alles gesucht und gefunden. Das Wichtigste war denen doch der zerfetzte Einsatzbefehl, der auf meinem Schoß lag. Jeden Schnipsel haben sie als Mosaik wieder zusammengefügt", so der Unglückspilot. Leutnant Frank Becker wurde nach seinem Absturz in das Flugmedizinische Institut der Fliegerschule Königsbrück bei Bautzen eingewiesen. "Nach 14 Tagen hatte ich von der ,Psycho-Klapse' so die Schnauze voll, dass ich rumbrüllte: ,Lasst mich hier endlich raus!' Was da ablief, gönne ich meinem ärgsten Feind nicht."

Für Becker hatte der Absturz keinerlei dienstliche Konsequenzen. Er erhielt nach dem Flugunfall für sein besonnenes Verhalten die Verdienstmedaille der NVA in Bronze. Für einen Leutnant eine sehr hohe Auszeichnung. Die Fliegerei gab er nicht auf. Nach der Versetzung nach Preschen bei Forst schulte er auf das Hightech-Flugzeug MiG 29 um. Mit dieser Maschine landete er einmal in Holzdorf. "Da habe ich denen erst einmal gezeigt, was 'ne Harke ist und was ein Pilot und ein Jet alles können", erinnert er sich schmunzelnd.

Frank Becker lebt heute mit seiner Familie in Bad Neuenahr, nahe Köln. Pilot ist er nur noch hobbymäßig: "Ich fliege fast alles, was brummt und sich in der Luft hält." Den Ausstieg aus der MiG wird er allerdings nie vergessen. "Das ist so ein Syndrom, das ich auch von anderen Piloten kenne. Obwohl alles rasend schnell ging, läuft es noch immer wie in Zeitlupe im Gedächtnis ab", schildert Becker seine Erfahrung.