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Aqua Orbis in Jessen Aqua Orbis in Jessen: Störfarm meldet erneut Insolvenz an

Von Klaus Adam 08.09.2014, 10:12
Stefan Krumbholz (li.) und Betreibsleiter Peter Bahrs fischen schlachtreife Störe aus dem Becken der Stärfarm Aqua Orbis in Jessen. Die Produktion mus weiter laufen, obwohl das Unternehmen am Freitag, 5. September, einen Insolvenzantrag gestellt hat.
Stefan Krumbholz (li.) und Betreibsleiter Peter Bahrs fischen schlachtreife Störe aus dem Becken der Stärfarm Aqua Orbis in Jessen. Die Produktion mus weiter laufen, obwohl das Unternehmen am Freitag, 5. September, einen Insolvenzantrag gestellt hat. Klaus Adam Lizenz

Jessen/MZ - Es hätte der Deal des Jahres sein können. Aber es blieb nur der erneute Gang zum Insolvenzgericht. Den ging Geschäftsführerin Rosmarie Ehrenberg am Freitag. Wenn alles gut gelaufen wäre, sollten die Jessener Störe nicht nur symbolisch an einen ihrer traditionellen Herkunftsorte zurückgekehrt sein: Eine kasachische Störfarm zeigt großes Interesse an dem Jessener Unternehmen, das zuletzt als Aqua Orbis Fine Food GmbH & Co. KG agiert. Kasachstan grenzt im Westen ans Kaspische Meer, in dem der Stör ein natürliches Zuhause hat. Eher hatte, denn inzwischen gilt es als völlig überfischt. Doch der Deal scheiterte. Als Grund werden die vom russischen Präsidenten Wladimir Putin verhängten Sanktionen als Antwort auf die im Zuge der Ukraine-Krise erlassenen seitens des Westens genannt. „Höhere Gewalt“ nennt das die Geschäftsführerin.

Wirtschaftsembargo

„Kasachstan gehört zu der von Russland bestimmten Eurasischen Wirtschaftsunion“, so Rosmarie Ehrenberg zur MZ. „Darin gelten alle Sanktionen, die in unserem Fall jegliches Einfuhrverbot von Lebensmitteln, Kaviar ist eines, beinhalten und den Geldtransfer in den Westen verbieten. Damit sind alle Voraussetzungen für den Kauf unserer Anlage hinfällig geworden.“ Diese Wirtschaftsunion, an der sich neben Russland auch Weißrussland und eben Kasachstan beteiligen, soll zwar erst im Januar 2015 wirksam werden, wirft aber offenbar ihre Schatten bereits voraus. „Das ist für uns alle eine schmerzliche Entwicklung“, schreibt denn auch Rosmarie Ehrenberg an die Kommanditisten des Unternehmens, „zumal alle Zeichen auf Grün standen.“

Baustart für die Aquafarm war 2007. Schon ab Februar 2008 begann man, die Becken für die Aufzucht der Störe zu befüllen und Tiere einzusetzen.

Im März 2011 erregte die Nachricht bundesweit Aufmerksamkeit, dass aus dem damals noch als Aqua Orbis AG firmierenden Jessener Unternehmen insgesamt 130.000 Störe für eine nagelneue Aufzuchtfarm in der saudi-arabischen Wüste ausgeliefert würden. Von den per Straße und Schiff in Spezialcontainern transportierten Fischen sollen dem Vernehmen nach nicht allzu viele lebend angekommen sein. Die Folgen dieses Geschäftes belasteten den Jessener Betrieb nachhaltig.

Nur fünf Monate später kam es zum Eklat. Ein Teil der Aktionäre der AG wehrte sich gegen die Fusion des Erbauerunternehmens der Anlage, United Food International, mit der Betreiberfirma Aqua Orbis, an der sie Anteile hielten. Nach Insiderangaben sollten die Aqua-Orbis-Papiere im Verhältnis von 32:1 in solche von United Food umgewandelt werden. Das wäre eine horrende Abwertung, begründeten die Kritiker damals das Ansinnen und konnten sich durchsetzen. Der bestehende Aufsichtsrat, zu dem neben United-Food-Chef Christoph Hartung auch der jetzige Projektmanager für die Schweinemastanlage Gerbisbach, Helmut Rehhahn, gehörte, wurde abgelöst. Die damals benötigte Liquidität von 1,6 Millionen Euro bis 2013 sicherte der Großinvestor Dogmoch trotz der Querelen auch der neu formierten Aqua-Orbis AG zu. Zur Überbrückung brachten die Aktionäre die 1,6 Millionen Euro zunächst selbst auf.

Knapp anderthalb Jahre nach seiner Zusage zog sich Dogmoch doch zurück und stürzte damit das Unternehmen in die Insolvenz. Erneut sammelten die Aktionäre Geld und überführten das Unternehmen aus der Insolvenz in die zum 27. Dezember 2012 neu gegründete Aqua Orbis Fine Food GmbH & Co. KG, unter deren Siegel bis jetzt gearbeitet wurde.

Auf den Insolvenzantrag hat das Gericht noch nicht geantwortet, die Geschäftsführerin hofft aber auf ihren Wunschkandidaten als Verwalter, Rechtsanwalt Joachim Voigt-Salus. Er hatte bereits vor zwei Jahren das Unternehmen aus der Insolvenz begleitet, kennt sich somit bestens aus und bräuchte sicher nur wenig Zeit für die Bestandserhebung.

Stör-Entwicklung dauert Jahre

Seit seinem Bestehen hat das in Jessen ansässige Unternehmen ums Überleben am Markt gekämpft. 2008/2009 begann die Produktion von Stören. Die Fische mit dem von Gourmets begehrten Rogen brauchen allerdings mindestens fünf Jahre (bis zu acht Jahren), um die Geschlechtsreife zu erreichen. Zwar hat Aqua Orbis seit der Produktionsaufnahme durch eine Altersstaffelung der Fische jährlich Kaviar und auch Störfleisch verkauft. „Jetzt, nach fünf Jahren, wäre aber die Zeit, dass der Betrieb anfangen könnte, aus vollständig eigener Zucht zu produzieren“, berichtet die Geschäftsführerin. Doch nach den zahlreichen Anfangsschwierigkeiten scheint den Anteilseignern nun die Luft auszugehen. Oder zumindest die Lust. „Viele der Kommanditisten sind inzwischen auch schon im höheren Alter“, umschreibt die Chefin einen der mutmaßlichen Gründe, warum das Unternehmen nun verkauft werden sollte.

Die Kommanditisten, die sich zumeist aus dem Stamm der ursprünglichen Aktionäre von Aqua Orbis rekrutieren, hatten in den zurückliegenden Jahren bereits mehrmals große Summen aus eigener Kraft aufgebracht, um den Betrieb am Laufen zu erhalten. Ende 2012 kam der Jessener Produzent erneut ins Straucheln, nachdem sich der deutsch-syrische Investor Yassin Dogmoch (in einigen Quellen wird er auch als libanesischer Geschäftsmann bezeichnet) zurückzog. „Nach dem Beginn der Syrienkrise muss er sich nun mehr um seine Heimat kümmern. Da braucht er das Geld, seine ganze Familie lebt in Syrien, so hatte er das begründet“, erinnert Rosmarie Ehrenberg.

Dass die eigentliche Prokuristin des Unternehmens es seit Januar als Geschäftsführerin leitete, ist weiteren nachhaltigen Einschnitten geschuldet. Im vergangenen Jahr verstarb ihr Vorgänger Peter Gründken. Und Betriebsleiter Timm Schneider hat den Jessener Betrieb wenig später verlassen. „Ich bin froh, dass wir mit Peter Bahrs seit April wieder einen Betriebsleiter haben, der das Unternehmen bereits kennt“, kommentierte dies Rosmarie Ehrenberg Anfang Juni.

Auf der nächsten Seite erklärt Geschäftsführerin Rosmarie Ehrenberg, welche Investitionen anstehen.

So teuer der Kaviar in den Theken der Gourmettempel angeboten wird, so sehr ist der Marktpreis „runter“, erläutert die Geschäftsführerin. Für die Ausfuhr in bestimmte Länder, Russland zählte vor dem Embargo schon dazu, sind aufwändige Listungen notwendig. Im eigenen Lande fehlt es an der finanzkräftigen Kundschaft, bekundet Rosmarie Ehrenberg. „Die Jugend isst das gar nicht“, hätten Untersuchungen ergeben.

Investitionen nötig

Investiert werden müsste inzwischen auch in die Anlage. „Becken für Becken müsste energetisch erneuert werden“, erläutert die Geschäftsführerin. Und bei großer Hitze draußen wird es auch in den Becken zu warm. „Ich brauchte eigentlich noch eine Kühlung, die das Wasser bei 20 Grad Celsius hält. Auf höhere Temperaturen reagiert der Stör empfindlich.“ Doch ohne Investoren fehlte nun das nötige Geld dafür. Ohnehin blieben nach den Erkenntnissen der ersten Produktionsjahre die Störe in einer solchen Kreislaufanlage kleiner als in Freiheit. Auch dies wirkt sich auf die Menge des Kaviars aus. „Viele Betriebe bringen deshalb die Fische für einige Zeit ins Freie. Das verlagert zwar die Ernte ein oder zwei Jahre weiter nach hinten, ist aber für die Fische besser.“

Die Kapazitätsgrenze des Unternehmens, die bei vier Tonnen pro Jahr veranschlagt wurde, ist bislang noch gar nicht erreicht worden. „Im vergangenen Jahr waren es 900 Kilogramm“, so Rosmarie Ehrenberg. Zwei Tonnen Jahresproduktion sind das Nahziel. Eine halbe Tonne liegt derzeit auf Lager. „Aber im Sommer ist der Absatz generell schwächer“, lautet eine der bisherigen Erfahrungen.

Derzeit ist alles offen

Wie es mit dem Unternehmen, das acht Mitarbeiter und einen Lehrling beschäftigt, weitergeht, bleibt nun abzuwarten. „Wenn sich eine Lösung anbahnt, dann kann das Insolvenzverfahren jederzeit auch unterbrochen werden. Vielleicht ändern sich ja auch wieder die Einfuhrbeschränkungen. Das Interesse der Investoren besteht nach wie vor“, gibt sich Ehrenberg optimistisch. Die Zukunft der Jessener Edelfische ist wieder mal offen.

Ein Stör, allerdings in Freiheit
Ein Stör, allerdings in Freiheit
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