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Unterricht an vier Standorten Unterricht an vier Standorten: Lernen und Lehren an der zerissenen Schule "Anne Frank"

Von Beate Thomashausen 29.03.2017, 14:00
Roger Frank unterrichtet die fünfte Klasse. Die Fünften sind in der Evangelischen Grundschule untergebracht.
Roger Frank unterrichtet die fünfte Klasse. Die Fünften sind in der Evangelischen Grundschule untergebracht. Jürgen Lukaschek

Hettstedt - „Das wird mal richtig schön hier“, schwärmt Schulleiterin Anja Lieding. Von außen sieht man es der Hettstedter Anne-Frank-Schule schon an, dass sie einmal modern und farbenfroh sein wird. Große Applikationen am neuen Anbau weisen darauf hin, dass sich dort einmal die Fachkabinette für den Biologie-, Chemie- und Physikunterricht befinden werden. Im Moment dominieren jedoch riesige Sandhaufen, Baumaschinen, Lastwagen und Bauleute das Bild. Auf allen Etagen und in allen Gebäudeteilen wird gearbeitet. Und zwar noch mehr als ein ganzes Jahr.

Anne-Frank-Schule kann erst im Sommer 2018 eröffnet werden

Geplant war eigentlich, dass die Anne-Frank-Schule in den Sommerferien eingeräumt und der Schulbetrieb in den neuen Gebäuden mit dem Schuljahr 2017/18 wieder aufgenommen wird. Mittlerweile sind diese Pläne ad acta gelegt. Der Kreis bestätigte, dass erst im Schuljahr darauf eingezogen werden kann. Und auch die Möglichkeit eines Teilumzugs, von der die Rede war, wurde verworfen. Darüber ist die Schulleiterin sehr froh. „Wenn wir einziehen wollen, dann richtig.“

Auf ihre neue Schule warten die 568 Schüler und 46 Lehrer nun schon über drei Jahre. 2014 haben die Ersten das Schulgebäude verlassen. Die fünften Klassen zogen in die Evangelische Grundschule. Die sechsten, siebten und gegenwärtig eine fünfte Klasse sind in der Novalis-Grundschule untergekommen. Die beiden Sprachklassen lernen in der Pestalozzischule. Und nicht nur die Schüler mussten aufgeteilt werden, auch das Mobiliar und die Unterrichtsmaterialien. So wurden aus einem Computerkabinett zwei gemacht und ebenso wurde mit dem Hauswirtschaftskabinett verfahren. Bis 2015 dauerte es, die ganze Schule auseinanderzuklamüsern.

Eins der insgesamt vier Ausweichquartiere - das in der ehemaligen Berufsschule in der St.-Jakobi-Straße - musste nämlich erst noch für die oberen Jahrgänge hergerichtet werden. Erst als auch die achten bis zehnten Klassen ausziehen konnten, konnten die Bauleute tatsächlich loslegen und das gesamte Gebäude entkernen.

Und entkernt sieht es im Inneren des Schulhauses 2017 eigentlich immer noch aus. Rohe Wände, Beton statt Fußböden und offene Kabelgräben, die mit Holzbohlen überdeckt sind, damit niemand hineinstürzt. Eine Riesen-Baustelle. Schulleiterin Anja Lieding sieht aber offenbar vorm geistigen Auge schon belebte Schulflure und möblierte Klassenzimmer, wo sich bislang riesige Pakete mit Dämmmaterial stapeln, wo Kabel auf den Gängen entlanglaufen und Fußböden, Wände und Decken noch den Charme eines Rohbaus verströmen.

„Dort wird unsere Aula sein“, verweist die Schulleiterin in einen sehr großzügigen Raum. „Das war früher mal unsere kleine Turnhalle. Bald haben wir ja eine Zweifeldhalle. Als ich da das erste Mal drinstand, dachte ich, dass sie so groß ist wie eine Reithalle.“ Ein großes Aquarium soll in einen der Durchbrüche in der neuen Aula integriert werden. Lieding gerät richtig ins Schwärmen, während sie durch die betonstaubigen Gänge geht, die gerade nur grau aussehen und überhaupt nicht farbig wie sie einmal werden sollen.

Aktuelle Abschlussklassen ziehen nicht mehr in neues Schulgebäude ein

Noch ein ganzes Jahr träumen. Für acht der heutigen Schulklassen wird es wohl auch ein Traum bleiben - eine moderne, neue Schule. Sie werden im Ausweichquartier in der Jakobistraße Formeln und Vokabeln lernen, Aufsätze schreiben und über ihren Prüfungen schwitzen. Die vier zehnten und vier neunten Klassen werden nicht mehr mit umziehen. Die Schule wird dafür nicht rechtzeitig fertig. Den Zehntklässlern ist das gerade nicht wichtig. Bald stehen die Prüfungen ins Haus. Und die gilt es zu bestehen. Ausweichquartier hin oder her. Danach fragt dann niemand mehr, ob der Schüler eine Ausweichschule besuchen musste oder unter hervorragenden Bedingungen lernen konnte.

Regina Gottschald unterrichtet in den Räumen der Berufsschule die Zehnten in Mathe. Die Lehrerin ist 62 Jahre alt und froh darüber, dass ihre Chefin Rücksicht auf sie nimmt. „Ich muss nicht wie meine Kollegen von Schule zu Schule pendeln, sondern darf an einem Standort bleiben“, freut sie sich, „eigentlich sind sonst alle Lehrer an mindestens zwei Standorten im Einsatz.“ Und das heißt für manchen Fachlehrer, die Arbeitsmaterialien mit der Sackkarre zum Auto zu transportieren, in die nächste Schule zu fahren und dort wieder auszuladen. Wie Möbelpacker. „Das tut mir leid, wenn ich ältere Fachlehrerinnen so rumhantieren sehe. Es wäre wirklich toll, wenn das endlich ein Ende hätte“, sagt Schulleiterin Lieding. Ganz hart treffe es die Fachlehrer in Kunst, Musik und Religion. Sie sind an allen vier Standorten im Einsatz.“ Und das heißt pendeln zwischen der Berufsschule, der Novalis-Grundschule, der Evangelischen Grundschule und der Pestalozzischule.

Nina Trzcinski unterrichtet seit dreieinhalb Jahren Religion an der Anne-Frank-Schule. Als die junge Sangerhäuserin nach ihrem Studium nach Hettstedt an die Schule kam, zog man dort gerade in die Ausweichquartiere um. Für sie begann das Pendeln zwischen vier Schulhäusern. „Ich habe mich damit arrangiert“, sagt die junge Lehrerin mit einem Lächeln. Klar wäre es schön, in nur einem Schulgebäude unterrichten zu können. „Aber es kann ja jetzt nur noch besser werden.“ Sie wolle auf jeden Fall der „Anne Frank“ treu bleiben, versichert die junge Pädagogin. „Verdenken kann ich es den Kollegen nicht, wenn sie das Handtuch werfen“, so Schulleiterin Lieding. Die Fluktuation der jungen Lehrer ist groß.

Englisch-, Wirtschaft-, Ethik- und Biologielehrer für Anne-Frank-Schule gesucht

Nicht alle halten so bei der Stange wie die Religionslehrerin. Im Durchschnitt sind die Lehrer der Schule 55 Jahre alt, sagt Lieding. „Junge Lehrer kommen selten nach Mansfeld-Südharz, noch seltener nach Hettstedt und fast gar nicht an eine Schule, die gerade zersplittert ist.“ Da macht sich die Schulleiterin nichts vor. Immerhin, es laufen aktuell Ausschreibungen für Fachlehrer in Englisch, Wirtschaft, Ethik und Biologie. „Bestimmt sind unsere Chancen größer, wenn wir in unserem schicken, sanierten Schulgebäude sind“, hofft sie, denn zu den Unannehmlichkeiten durch das Pendeln kommt hinzu, dass es zu wenig Lehrer an der „Anne Frank“ gibt. Von 190 Fehlstunden pro Woche spricht Lieding.

Das ist ein ganzer Schwung Lehrer, der da fehlt. Trotzdem will man ein ehrgeiziges Konzept im kommenden Schuljahr umsetzen und produktives Lernen anbieten. Schon allein weil es den eigenen, leistungsschwächeren Schülern helfen würde, zu einem Abschluss zu kommen, will man das Projekt zum nächsten Schuljahr unbedingt angehen. „Und in allen Ausweichquartieren sind wir die Gäste und nicht die Hausherren. Wir können über nichts verfügen, sondern müssen alles beantragen.“ Und sei es nur die Aula für eine Zusammenkunft aller 46 Lehrer. Lieding: „Ich will nicht klagen. Wir erleben auch viel Entgegenkommen. Aber ich bin doch froh, wenn wir endlich wieder in unserer Schule sind.“ (mz)

Eins der Ausweichobjekte: Die Evangelische Grundschule
Eins der Ausweichobjekte: Die Evangelische Grundschule
Lukaschek
Regina Gottschald unterrichtet in der zehnten Klasse Mathematik.
Regina Gottschald unterrichtet in der zehnten Klasse Mathematik.
Lukaschek