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Integration in Hettstedt Integration in Hettstedt: Flüchtlinge als Chance für Region

Von Nikta Vahid 06.04.2016, 18:03
Bernd Kühne, Michael Thiesler und Ulrich Kasper (v.l.) setzen sich für die Integration von Flüchtlingen ein.
Bernd Kühne, Michael Thiesler und Ulrich Kasper (v.l.) setzen sich für die Integration von Flüchtlingen ein. dpa

Hettstedt - „Wir leben Kupfer“ heißt es auf einem riesigen Werbeschild der Mansfelder Kupfer und Messing GmbH (MKM) am Straßenrand. Es ist einer der wenigen erhaltenen Hinweise auf die alte Kupferschiefer-Ära in der Region Mansfeld-Südharz. Die Gegend lebte einst vom Bergbau. Doch nach 800-jähriger Tradition kam mit der Wende das Aus. Heute liegt die 15.000-Einwohner-Städtchen Hettstedt in einer der strukturschwächsten Regionen Deutschlands. Fast jeder dritte Wähler hat hier seine Erststimme bei der Landtagswahl am 13. März dem Kandidaten der rechtspopulistischen AfD gegeben.

„Wir müssen versuchen, die jungen Leute in der Region zu halten“ sagt Hettstedts Bürgermeister Danny Kavalier (CDU). Doch nicht nur die, fährt er fort. Auch Geflüchtete, in denen er eine große Chance für Hettstedt sehe. „Es tut der Region gut, wenn wir bunter werden und in den Köpfen etwas freier und offener!“

Er wolle dafür sorgen, dass junge Menschen nach Ausbildung und Studium wieder in die Region zurückkehren, sagt der 38-Jährige. Auch neuen Bürgern müssten Chancen geboten werden. „Wir kommen von über 20.000 Einwohnern, sind jetzt bei etwa 15.000, und wenn die Prognosen stimmen, dann bewegen wir uns auf 10.000 bis 11.000 zu.“ Mehr Flüchtlingsfamilien würden der Infrastruktur auf die Sprünge helfen, sagt Kavalier. „Wir kämen drum herum, noch mehr Schulen und Kindergärten schließen zu müssen.“

Kavalier: Nicht alle AfD-Wähler verurteilen

274 Flüchtlinge leben im Moment in Hettstedt. Im vergangenen Jahr haben sich nur sechs Familien dazu entschieden, in der Stadt zu bleiben. Kavalier hofft auf zehn bis maximal 15 Familien pro Jahr - so viel trage die Integrationskraft der Stadt.

Er warnt davor, die Ergebnisse der Landtagswahl fehlzuinterpretieren. „Wir sollten unsere Wähler nicht verurteilen.“ Nicht jeder AfD-Wähler habe wegen Merkels Flüchtlingspolitik die Seite gewechselt. „Man muss es etwas bunter sehen, nicht immer so schwarz-weiß“, sagt er.

„Bei vielen ist die Stimmung scheiße“, sagt Christoph Altmann. Der 39-Jährige ist Streetworker und koordiniert das Haus der Jugend im Auftrag der Stadt Hettstedt. Er ist für Einheimische wie Flüchtlinge zuständig. Und er weiß: „Alle, die konnten, haben Hettstedt verlassen. Dorthin, wo es Arbeit gibt.“

Auch das zweistöckige Haus der Jugend ist leer. Am Nachmittag trifft sich im ersten Obergeschoss eine Gruppe von Rentnern, um das sogenannte „Klein-Ostern“ zu feiern und die neusten Eierlikör-Rezepte auszutauschen.

Nun wolle Altmann am Angebot des Hauses der Jugend arbeiten. „Mit Töpfern und Stricken kriegst du die Kids heutzutage nicht mehr“, sagt Altmann und huscht auf dem Weg ins erste Obergeschoss galant an einem Boxsack vorbei. Heute biete das Haus Fitnesskurse an, Boxtraining, Fußball oder Disco.

Eigentlich sei Hettstedt „ein cooles Eck“, sagt der Streetworker. „Man ist schnell in Großstädten wie Halle, Leipzig oder Magdeburg, wir haben einen coolen, jungen Bürgermeister mit vielen Ideen.“ Trotzdem gehen viele junge Leute. Auch viele Flüchtlinge. Die Mansfelder seien ein ganz besonderes Volk, etwas mürrisch und skeptisch, meint er. Da sei ein bisschen Annäherung von beiden Seiten nötig, um Ängsten entgegen zu wirken. Sein Rat an die neuen Bürger: „Lernt die Sprache und die deutsche Kultur zu verstehen.“

Oft fehle das Verständnis für kulturelle Unterschiede, sagt Altmann. Auf Facebook habe er lange genug versucht, gegen Hasstiraden zu argumentieren. „Aber die Leute wollen die Wahrheit nicht hören“, sagt der Streetworker und blickt verständnislos durch den Raum.

Syrischer Flüchtling ist Stammspieler im Fußballverein

Ein klein wenig Hoffnung ist anscheinend im Hettstedter Fußball zu finden. Obwohl die Mannschaft, wie Danny Kavalier beschreibt, „so aufgestellt ist wie auch der Querschnitt der Region“. Sprich: „Wir haben hier durchaus Fans, denen Sie ansehen, dass sie nicht unbedingt dem linken Milieu angehören, um es freundlich auszudrücken“, sagt Kavalier. Doch ohne Flüchtlinge hätte der Verein nicht genügend Spieler. Murad Bengin etwa, ein syrischer Flüchtling, sei mittlerweile Stammspieler. Die Fans seien hellauf begeistert, „denn das sind „ihre“ Ausländer, die gehören zu „ihrer“ Fußballmannschaft“, sagt der Bürgermeister.

Da habe es von Anfang an keine Probleme oder Reibereien gegeben, sind sich Michael Thiesler, Geschäftsführer des FC, und der Trainer der Herrenmannschaft, Ulrich Kasper, einig. Murad sei einer der besten Spieler. Allerdings seien beide Seiten noch zurückhaltend, auch die Kinder im Jugendclub, sagt Streetworker Altmann. „Aber beim Spielen vergisst man Herkunft und Hautfarbe des anderen.“ (mz)

Bergbau-Denkmal am Markt in Hettstedt
Bergbau-Denkmal am Markt in Hettstedt
dpa