93-jähriger Kurt Franke 93-jähriger Kurt Franke: Ältester Ortschronist Deutschlands denkt über "Ruhestand" nach

Freist - Hört der vermutlich älteste Ortschronist Deutschlands mit seinen Aufzeichnungen schon bald auf? „Die Kraft lässt nach, mein Kurzzeitgedächtnis ist auch nicht mehr das beste “, sagt Kurt Franke aus Freist in einem Gespräch mit der MZ. Seit 1958 registriert der heute 93-Jährige akribisch interessante Ereignisse in seinem Dorf und den Orten in der Umgebung. Nach fast 60 Jahren dieser Tätigkeit überlegt er nun, „die Segel zu streichen“.
Schulchronik wird Ortschronik
Handschriftliche Eintragungen, Fotos, Zeitungsausschnitte: Fünf dicke Mappen füllt die Chronik, die Franke zu Hause aufbewahrt. „Angefangen habe ich, als ich Schuldirektor in Freist wurde“, erinnert er sich. „Bis dahin gab es hier nur eine Schulchronik.“ Franke blättert in einer der Mappen und findet bald seinen ersten Eintrag: „Hiermit endet die Schulchronik. Ich werde versuchen, sie als Ortschronik weiterzuführen. Hoffentlich finde ich die erforderliche Zeit, um die neuesten Ereignisse darin festzuhalten.“
Wie viel Zeit er seitdem dafür aufgewendet hat, weiß er nicht. Gezählt hat er die Stunden nie. Einiges hatte er zu Beginn nachträglich aufgearbeitet. So findet sich in der Chronik eine Information über die Bildung der LPG „Fortschritt“ am 11. September 1952 wieder - mit „14 Bauern, zwölf Frauen und zwei Jugendlichen“.
Das Leben des geborenen Sierslebeners ist eigentlich auch ein Teil der Geschichte von Freist. Während des Krieges bei der Marine, wurde er 1953 Grundschullehrer an der Freister Schule. „Sie hatte einen einzigen Klassenraum, in dem alle Klassen unterrichtet wurden“, so Franke. Mit dem Gebäude ist der Senior bis heute verbunden: Er wohnt darin. In den 60er Jahren hat er sich zum Geschichtslehrer qualifiziert. Nachdem die Schule in Freist 1977 geschlossen wurde, war Franke Lehrer in Friedeburg, bis er 1988 Rentner wurde.
Ereignisreiche Chronik
Viel längst Vergessenes hält Franke in seiner Chronik fest. Zum Beispiel die Information über einen Brand in der Neujahrsnacht 1984. Das Feuer im Waschhaus der Konsumgaststätte war durch eine Silvesterrakete verursacht worden. Oder das Foto der Klasse zehn der Friedeburger Schule von 1972. „Das haben wir für den Patenbetrieb der Schule, die Draht- und Seilwerke Rothenburg, machen lassen“, erklärt Franke. Ein Foto von der Grundsteinlegung der neuen Schule in Friedeburg 1985. Längst hat Friedeburg keine Schule mehr, vom Gebäude ist nur eine Ruine übrig.
Mit Bedauern registriert Kurt Franke die negative Entwicklung der Bevölkerungszahl und der Infrastruktur im Dorf. 1864 gab es in Freist und seinen Ortsteilen 928 Einwohner, sagt er. 1957 waren es immer noch mehr als 700. Jetzt leben hier nur 320 Menschen. Keine Schule mehr, keine Arztsprechstunde. Franke: „Wer weiß, wie lange die kleinen Dörfer überhaupt noch existieren.“
Das Gespräch wird von einer Pflegedienst-Mitarbeiterin unterbrochen: Eine Insulin-Spritze ist fällig. Zucker. Sonst fühlt sich der 93-Jährige erstaunlich fit. Nach dem Tod seiner Frau besorgt er den Haushalt allein, nur das Kochen und Wäschewaschen übernimmt die Schwiegertochter Rosalinde. Zwölf Urenkel hat Franke, der Zeit seines Lebens aktiver Radfahrer war. „Noch 2015 war ich mit dem Rad im Ort unterwegs“, sagt er.
Zumindest in diesem Jahr will Franke die Chronik noch führen. „Dann übergebe ich sie dem Bürgermeister“, überlegt der Freister. Digitalisiert sind die vielen Eintragungen nicht: Franke arbeitet ohne Computer. (mz)
