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Zeitgeschichte Zeitgeschichte: Bomber zerstörten hallesche Stern-Apotheke

Von Mike Händler 01.06.2009, 21:38

HALLE/MZ. - Gegründet in der wilhelminischen Kaiserzeit, wurde sie im Zweiten Weltkrieg vollständig zerstört, in der DDR verstaatlicht und nach der Wende wieder in private Hände übernommen. Der Pharmazeut Karlheinz Preisler leitet die Apotheke seit 1976 und geht ab Juni in den Ruhestand. In einem Gespräch gab der heute 71-jährige einen interessanten Einblick in die Geschichte der 115 Jahre alten Apotheke.

Gegründet wurde die Apotheke am 4. Dezemeber 1894 von Ernst Giesel, der sie dann nach Erhalt einer Personalkonzession im Juli des folgenden Jahres eröffnete. Ab 1918 übernahm die Geschäftsleitung der Apotheker Bruck. Nach dem Erstarken der Nationalsozialisten in Deutschland flüchtete der Pharmazeut jedoch ins Ausland, da er jüdischer Abstammung und Konfession war. Fortan übernahm der Verwalter und spätere Pächter Lütgerding die Aufgaben in der Apotheke.

In den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges wurde die Stern-Apotheke während eines alliierten Bomberangriffs auf Halle vollständig zerstört. Die weitaus größere Tragödie spielte sich in einem Keller des seitlichen Traktes des Hauses in der Magdeburger Straße ab. Dort verbrannten über dreißig Menschen während des Bombardements, darunter der Apotheker Lütgerding mit seiner Familie. Karlheinz Preisler vermutet, dass der Angriff der Bomber eigentlich dem anliegenden Bahnhof galt und der Treffer wohl zufälliger Natur war.

Kurz nach dem Kriegsende begann man im August 1945 das Gebäude wieder aufzubauen. Die Apotheke wurde unter der Leitung von Pharmazeut Stobbe im Februar 1946 wieder eröffnet, der das Geschäft bis Ende 1975 leitete. Karlheinz Preisler berichtet, dass Stobbe eine Reise nach Westdeutschland nutzte, um sich aus der DDR abzusetzen. Etwa ein Jahr später übernahm Pharmazeut Preisler die Leitung der mittlerweile verstaatlichten Apotheke.

Karlheinz Preisler stammt aus dem Sudetendeutschland und wurde 1937 in Liberec geboren. Während der Wirren des Zweiten Weltkrieges gelangte er mit seiner Familie nach Thüringen. Dort ging er in Greiz zur Schule und studierte anschließend von 1955 bis 1960 Pharmazie an der halleschen Martin-Luther-Universität. Nach seinem Abschluss blieb er dort vorläufig als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Politisch waren es unruhige Zeiten, berichtet er, der Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953 warf noch seine Schatten in die Gesellschaft und mit dem Aufruhr in Ungarn 1956 folgten lebendige politische Diskussionen unter den Akademikern.

Ende 1976 entschloss sich Karlheinz Preisler der Universität den Rücken zu kehren. Er übernahm die Stern-Apotheke, eine von etwa 30 Apotheken, die es zu DDR-Zeiten in Halle gab. Von nun an leitete er die Geschicke des Hauses, das 15 Leute beschäftigte. Die Arbeitszeit der Belegschaft betrug eine heute undenkbare 45-Stunden-Woche. Als Apotheker, berichtet Preisler, hatte man in der DDR einen Nischenplatz ergattert, von dem aus man den gesellschaftspolitischen Zwängen des sozialistischen Staates aus dem Wege gehen konnte. Das hieß aber nicht, dass es den Apotheken besser ging als anderen Bereichen der damaligen Wirtschaft. Das Dilemma der DDR-Mangelwirtschaft erfasste die Pharmazie gleichfalls wie anderen Bereiche. Um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern, setzte man strategisch auf die Vorratslagerung von Medikamenten, erzählt der Pharmazeut. Eine Besonderheit in der DDR war zudem die Unterscheidung von Vollapotheken und Arzneiausgabestellen, letztere waren den Apotheken untergeordnet.

Nach dem Zusammenbruch der DDR übernahm Karlheinz Preisler die Apotheke als Privatier und musste notwendige kaufmännische und betriebswirtschaftliche Kenntnisse erlernen und anwenden. Dabei lobt er die damaligen Schulungen der Bundesapothekerschaft, die selbstlos Hilfestellung für die Neuankömmlinge in der sozialen Marktwirtschaft leisteten. Signifikant nennt Karlheinz Preisler den Qualitätssprung der Pharmazie, der nach der Wende in den neuen Bundesländern möglich wurde. Von den Medikamenten der DDR-Mangelwirtschaft hin zu einer Pharmaindustrie mit Weltniveau, die weitaus wirkungsvollere Präparate entwickelt. Überdies gab es in Halle einen deutlichen Zuwachs an Apotheken. Die Anzahl der Geschäfte hatte sich gegenüber der DDR auf etwa 80 Apotheken fast verdreifacht.

Von 1976 bis zum Mai 2009 leitete der 71-jährige Karlheinz Preisler die Stern-Apotheke in Halle. Nun übergibt er das Geschäft an seinen Nachfolger Markus Knothe. Der 36-jährige Familienvater arbeitet bereits seit 2000 in der Apotheke und erlernte das Apothekerfach wie sein Mentor an der halleschen Universität. Der passionierte Motorradfahrer ist in Halle geboren und aufgewachsen. Nach der Schule absolvierte er eine Lehre zum Facharbeiter für Betriebs-, Mess-, Steuer und Regelungstechnik mit Abitur in Buna. Mit der Wiedervereinigung boten sich Markus Knothe freie Entfaltungsmöglichkeiten an. Denn im Gegensatz zu der reglementierten Bildungspolitik der DDR, konnte nun jeder nach seinen Interessen und Fähigkeiten eine Berufung finden. Der Hallenser entschied sich zum Studium der Pharmazie, dass er 2000 erfolgreich abschloss. Ab Juni übernimmt Markus Knothe die Leitung des Geschäftes in der Magdeburger Straße und kann in 30 Jahren vielleicht aus einem ebenso bewegten Apothekerleben wie Karlheinz Preisler berichten.