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Zachow Stadtteilserie 18 Zachow Stadtteilserie 18: Ammendorf und Beesen

Von JESSICA QUICK 06.12.2012, 14:52
Ammendorf und Beesen bestechen durch ihre Ursprünglichkeit.(FOTO: ANDREAS LÖFFLER)
Ammendorf und Beesen bestechen durch ihre Ursprünglichkeit.(FOTO: ANDREAS LÖFFLER) Andreas Löffler

Halle (Saale)/MZ. - 1950 zusammen mit Ammendorf eingemeindet wird das an der Elster gelegene Beesen schon im 19. Jahrhundert für Halle interessant. Denn zu dieser Zeit muss noch die verdreckte Saale als Trinkwasser herhalten, was ursächlich für schwere Choleraepidemien mit tausenden Toten war. Eine Kommission entdeckt das wohlschmeckende Grundwasser in der Elsteraue, und man beginnt 1867 mit dem Bau eines Wasserwerkes, welches in Teilen heute noch im 1999 errichteten Spaßbad Maya Mare erkennbar ist.

Enrico Schreiber- Heeredegen ist in Beesen geboren. Sein Vater sei noch in der fischreichen Elster geschwommen, berichtet der 46-Jährige. „Hinter der Strömung ist ordentlich Feuerwerk.“ Worauf im Übrigen auch die Wurzel „al“ für „eilend“ in dem Namen Alstara, von dem sich Elster ableitet, hindeutet. Mit Beginn der Industrialisierung wird der Fluss stark verunreinigt. Aus Erzählungen weiß Schreiber-Heeredegen, dass Angler in den Kellern von Beesen oft ihre Fische haben schwimmen lassen, damit sie nicht so nach Schlamm schmeckten.

Das benachbarte Ammendorf, zu dem Beesen 1917 eingemeindet wird, kann etliche Vorzüge als Industriestandort vorweisen: Der Boden ist günstig (0,40 Mark pro Quadratmeter statt 18 Mark in der Stadt), die gewerblichen Bestimmungen sind nicht so streng, und es gibt reichlich Braunkohle, sowie ausgedehnte Sand-, Kies- und Tonlagen als Material für den Bau. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts siedeln sich hier etliche Fabriken an, unter anderem die Papierfabrik in Radewell (zu der Zeit Ortsteil von Ammendorf) – „die beste von ganz Deutschland“, erzählt Siegfried Herber, Mitglied der Ammendorfer Heimatfreunde. 1945 sei die Anlage dann von den Russen in Einzelteilen bis nach Polen verschleppt worden.

Auch die Waggonfabrik „Gottfried Lindner AG“ entsteht um 1900. Der spätere VEB Waggonbau Ammendorf (ab 1952) ist mit 4 900 Beschäftigten der größte Betrieb des DDR-Schienenfahrzeugbaus. Doch nach der Wende beginnt der Abbau. Als 1998 der kanadische Schienenfahrzeughersteller Bombardier Transportation die DWA (Deutsche Waggonbau AG) übernimmt, waren nur noch 940 Mitarbeiter beschäftigt. Wie paralysiert ist man in Halle, als Bombardier 2005 beschließt, den Standort in der Eisenbahnstraße zu schließen. Heute wirkt das Industriegelände zum Teil wie ausgestorben. Doch der Schein trügt: Mehr als ein Dutzend neue Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren angesiedelt.

"Ehemals" dominiert in Ammendorf

Seit einigen Jahren ist der Ammendorfer Markus Thumser regelmäßig auf dem ehemaligen Industriegelände an der Hohen Straße anzutreffen. Dort, wo sich die 1889 gegründete Dachpappenfabrik befand, steht heute das Vereinshaus der „2-Takt-Genossen“. Dahinter verbergen sich 16 Trabi-Fans, welche die Kultfahrzeuge vor der Verschrottung retten. Der Vereinschef Thumser ist in der Bergarbeitersiedlung, wo seine Großeltern in den 20er Jahren ein Haus gebaut haben, aufgewachsen. Früher traf er sich gern mit Freunden in dem 1933 gebauten Ammendorfer Sommerbad. „Ich glaube, weniger als eine Mark hat uns der Eintritt zu DDR-Zeiten gekostet – definitiv günstiger als im Maya Mare“, erinnert sich Thumser. Seit 2004 hat das Sommerbad jedoch kein Wasser mehr gesehen. Eine Initiative zur Rettung scheitert, und auch die Idee, daraus ein Ökobad zu machen, wird nicht umgesetzt.

Dennoch: Seine Kindheit hätte in Ammendorf nicht besser sein können, meint der 29-Jährige. „Es ist eine sehr ruhige Gegend mit viel Platz zum Spielen.“ An die Tonbild-Bühne- Ammendorf (ToBü), das „kleinste und dunkelbraunste“ Kino (1938 bis 1990) von Halle, kann sich Thumser freilich nicht mehr erinnern. Nachdem das Gebäude ewig leer stand, hat vor einem Jahr die Motorrad- Gang Bandidos das Kino zu ihrem Clubhaus erklärt. Der Ammendorfer Heimatfreund Siegfried Herber bricht für die Biker eine Lanze: „Wir haben die Truppe mal besucht, um zu erfahren, wie sie zu uns stehen. Untereinander mögen die Stress haben, aber nach außen sind sie sehr nett“, erzählt der 78-Jährige, der in seiner hauseigenen „Heimatstube“ etliche Dokumente und Relikte über Ammendorf sammelt.

Gern erzählt er in seinen Vorträgen von Halles ältester Brücke, der Schaafbrücke – „mit zwei ,a’, wohlgemerkt!“, berichtigt Herber die oft fälschliche Schreibweise. „Deswegen, weil hier in der Aue eine Ziegelei war, dessen Besitzer Albert Schaaf hieß.“ Grausig ist die Sage, die man sich über den Bau (1733) der einstigen Zollbrücke erzählt: Was tagsüber Stein auf Stein entstand, war am nächsten Morgen wieder weggeschwemmt. Erst als ein Mönch den Rat gab, ein Kind zu opfern, welches dann lebendig in die Brücke eingemauert wurde, hielt die Brücke der Elster stand. Oberhalb der Schaafbrücke befindet sich die ehemalige Broihanschenke, die in dieser Gestalt seit 1714 existiert und vor allem bei halleschen Studenten sehr beliebt gewesen ist. Hier wurde das sogenannte „Broihan“, ein süßsaures Weißbier ausgeschenkt.

Einen ebenso großen Identifikationswert hat für die Ammendorfer ihr altes Spritzenhaus, 1911 im Jugendstil erbaut. „Ammendorf gehörte einst zur größten und reichsten Saalkreisgemeinde“, erklärt Ulrich Röfer den weithin sichtbaren Bau. Der 72-Jährige verwaltet das dort ansässige Museum zur Geschichte des Löschwesens. Und obwohl er nicht in Ammendorf wohnt, schätzt Röfer den Ortsteil ganz besonders: „Vieles ist hier im ursprünglichen Charakter erhalten geblieben. Deshalb sind wir alle etwas verliebt in Ammendorf.“

Im alten Feuerwehrspritzenhaus befindet sich ein Feuerwehr-Museum. (FOTO: ANDREAS LÖFFLER)
Im alten Feuerwehrspritzenhaus befindet sich ein Feuerwehr-Museum. (FOTO: ANDREAS LÖFFLER)
Andreas Löffler