Werfertage in Halle Werfertage in Halle: Christina Schwanitz wird ihrer Favoritenrolle gerecht

Halle (Saale) - Die „Krümel“ fehlten. Ihre fast zwei Jahre alten Zwillinge, die Christina Schwanitz so liebevoll tituliert, mussten diesmal mit Papa zu Hause in Chemnitz bleiben. Ihr Mann, den die Leichtathletin augenzwinkernd als großen Fan des Kugelstoßens im Allgemeinen und ihren größten Fan ganz speziell bezeichnet, hatte eigentlich bei den Werfertagen am Samstag in Halle zuschauen wollen. Bei ihrem Saisoneinstand in den Brandbergen wäre er nur allzu gern dabei gewesen. „Mein Mann war ganz geknickt, aber ich bin da egoistisch“, erklärte Christina Schwanitz. Erst einmal habe sie sehen wollen, wo sie stehe. Arbeit ist Arbeit.
Natürlich spielen die Kinder, ein Junge und ein Mädchen, in ihrem stark durchstrukturierten Leben eine immens wichtige Rolle. Der Versuchung einer Ablenkung wollte sich die 33-Jährige offenbar gar nicht erst aussetzen.
Langer Trainingsausfall bei Schwanitz
Sich ganz auf den Job zu konzentrieren, hat sich ausgezahlt: 19,23 Meter weit wuchtete sie das Vier-Kilo-Gerät - 1,23 Meter über der WM-Norm und aktuell Platz vier in der Weltrangliste der vorolympischen Saison. Nur drei Konkurrentinnen sind ihr noch voraus.
Die Erleichterung war Christina Schwanitz anzusehen. „Ich hatte im Winter Knieprobleme“, gab die mehrfache EM- und WM-Medaillengewinnerin zu. Erst vor drei Wochen ist sie in den Kugelstoßring zurückgekehrt. Statt 1.000 Stößen im Training stehen bisher in diesem Jahr 300 zu Buche. Dafür lief es in Halle ausgesprochen gut.
Auch, weil die Schwedin Fanny Roos (18,88 Meter) und Brittany Crew aus Kanada (18,69) die Sächsin mit ihren nationalen Rekorden herausgefordert haben. Einzig die durch eine Fußverletzung gehandicapte Sara Gambetta als Vierte mit 17,92 Metern konnte ihr Heimspiel nicht so recht dazu nutzen, Druck auf die Favoritin auszuüben.
Die war tatsächlich erstaunlich angespannt. „Natürlich bin ich immer noch aufgeregt bei Wettkämpfen, auch wenn es natürlich nicht mehr so ist, dass ich deshalb die Nacht vorher nicht schlafen kann“, sagte die 2015 zu Deutschlands Sportlerin des Jahres gewählte Leichtathletin. Früher habe sie bei Wettkämpfen wie in Halle gedacht: „Oh je, so viele Zuschauer“, und den Druck gespürt. Heute sagt sie sich voller Vorfreude: „Oh schön, so viele Zuschauer“. Längst kann Christina Schwanitz sie genießen, die Aufmerksamkeit, die den Kugelstoßern bei großen Meetings meist versagt bleibt.
Familie und Sport unter einem Hut
Und sie hat noch etwas im Laufe der Jahre gelernt. Ihre Parallel- Welten gut aufeinander abzustimmen. Die Familie kommt - auch wenn sie diesmal in Halle fehlte - nicht zu kurz. Die Sportlerin kriegt alles unter einen Hut. „Weil wir Freunde haben, die helfen oder mein Trainer auch mal eine Einheit auf die Zeit verschiebt, wenn die Kinder schlafen“, zählte Christina Schwanitz auf und brachte es auf den Punkt: „Mein Leben ist gut organisiert.“ So gut, dass sogar noch Zeit für ein Studium der Fachrichtung Soziale Arbeit bleibt, das sie gerade begonnen hat.
Weltrekord! Der kleinwüchsige Kugelstoßer Niko Kappel hat bei den halleschen Werfertagen so wie nie zuvor ein Athlet in seiner Startklasse gestoßen. Der Paralympics-Sieger wuchtete das gerät auf 14,11 Meter und damit sieben Zentimeter weiter als sein polnischer Dauerkonkurrent Bartosz Tyszkowski. Letztes Jahr hatte der Sindelfinger als erster überhaupt die 14-Meter-Marke geknackt, ehe ihn Tyszkowski die Bestmarke wieder abnahm. „Dreimal war ich in Halle, und jedes mal ging es ein Stückchen weiter“, sagte Kappel. Er fühlte sich im Spitzenwettbewerb zwischen den Stars aus Übersee mit Tim Neros (Kanada/20,87 m), Marjell Hill (20,67) und Joe Kotaus (20,43/beide USA) gut aufgehoben. „Wahnsinn, mit den großen, starken Jungs in einem Wettkampf anzutreten, das macht Laune“, sagte Kappel. Für die Para-WM im November in Dubai sieht sich der zweifache Weltmeister auf einem guten Weg.
Der Stadt Halle übrigens ist die populäre Sportlerin nicht allein durch ihre regelmäßigen Auftritte bei den Werfertagen verbunden. Im Winter war sie als Überraschungsgast der Jahresabschlussfeier des SV Halle erschienen und hatte den Besten - Talenten wie Spitzenathleten - die Ehrenpreise überreicht. Auch Nadine Müller.
WM ist erst sehr spät
Die Vize-Europameisterin mit dem Diskus war neben Christina Schwanitz der Publikumsliebling dieser Werfertage und bedankte sich bei den Zuschauern für die Unterstützung mit einer Saisonbestleistung. Auf 64,52 Meter steigerte sich die Hallenserin und war damit beste Deutsche. Nur die Kubanerin Denia Caballero (65,99) und Feng Bin aus China (64,89) waren besser. „Ich hätte schon gern über 65 Meter geworfen“, räumte Nadine Müller danach ein.
Auch ihre Freude über das T-Shirt mit dem Aufdruck „WM-Norm-Erfüller“ hielt sich in Grenzen. „Davon habe ich gefühlt zehn Stück im Schrank.“ Die 61,20 Meter stellen für Halles erfahrene Sportlerin keine Hürde dar. Schwieriger wird es da schon, sich bei den deutschen Meisterschaften als Qualifikationswettkampf mit einem Platz unter den ersten Drei gegen ihre Auswahlkolleginnen durchzusetzen.
Das zumindest ist ihr diesmal souverän gelungen, trotz des Schnupfens, der sie kurz vor dem Heimwettkampf zu ärgern begann. Die ganz großen Weiten nimmt sie sich für später vor: Die WM ist schließlich erst im Oktober. Es bleibt also noch viel Zeit. (mz)
