Wenn der Mann mit dem Kuckuck klingelt
Halle/MZ. - Der Fahrstuhl ist kaputt, auch das noch. Also steigt Ralf Pult an diesem heißen Tag in einem Haus in der Nähe des Leipziger Turms fünf Treppen hoch, klingelt. Er hat Glück, ein junger Mann öffnet ihm und ist irritiert - den Gerichtsvollzieher hat er nicht erwartet. Der Besuch ist dem Studenten sichtlich peinlich. Doch er hat Unterhalts-Schulden von rund 6 000 Euro. Und die will Pult haben. Da in der Wohnung nichts zu holen ist, das sich zu Geld machen ließe, bestellt er ihn in sein Büro, damit er dort den Offenbarungseid leisten kann.
Ralf Pult ist für Halles Innenstadt zuständig. "Rund 70 Prozent meiner Arbeit erledige ich im Büro, die restliche Zeit bin ich auf Achse", erzählt der 41-Jährige, der aus Minden stammt. Seit rund elf Jahren versieht der ehemalige Lokführer seinen neuen Beruf. Wie er sagt, seien Menschen jeden Alters und aus allen Schichten überschuldet. Dazu gehören jene, die mit wenigen hundert Euro im Monat auskommen müssen ebenso wie Geschäftsleute. Zirka 200 Fälle bearbeitet Pult pro Monat, die Zahl nimmt seit Jahren nicht ab. Telefongesellschaften, Verlage, Vermieter, Krankenkassen, Privatleute - die Palette der Gläubiger ist bunt. Kaum noch anzutreffen seien dagegen wie nach der Wende Menschen, die bei Versandhäusern offene Rechnungen haben, sagt Pult, der schon viele Schicksale kennen gelernt hat. Aber auch Menschen, die es eigentlich nicht nötig hätten, Forderungen, beispielsweise Knöllchen-Strafzettel, bis zur Zwangsvollstreckung auflaufen zu lassen.
Wie der Mann, der in einem Neubau am Boulevard wohnt. 280 Euro schuldet er der Telekom. Pult klingelt an diesem Tage zum zehnten Male bei ihm, wieder vergeblich. Da wird auch der geduldigste Gerichtsvollzieher sauer. Eine Nachbarin erzählt ihm, dass der Schuldner wohl auswärts arbeite und selten zu Hause sei. Dieser Spur will Pult noch nachgehen. Bringe auch die nichts, drohe dem Mann eine Vollstreckung, bei der sich Pult mit Hilfe eines Schlüsseldienstes und der Polizei Zutritt zur Wohnung verschafft, um nach verwertbaren Gegenständen zu suchen.
Dabei müssten die Leute ihn gar nicht so fürchten, selbst wenn sie bis zum Hals in Schulden stecken. Denn der Mann, der den orangefarbenen Kuckuck in seiner Aktentasche trägt, bietet auch Gespräche an, um einen Weg aus der Misere zu finden. "Da ist viel Fingerspitzengefühl und Diplomatie nötig", sagt er, "denn einerseits sollen die Gläubiger zu ihrem Recht kommen, andererseits bin ich auf die Mithilfe der Schuldner angewiesen, will ihnen aber auch nicht das letzte Stück Ehre nehmen." Und manche Menschen scheinen nur darauf zu warten, mal jemandem ihr Herz ausschütten zu können.
Ab und an muss Pult auch Wohnungen zwangsräumen. Und das geht mitunter nicht ohne starke Unterstützung wie bei einem Termin in der Reideburger Straße, den er für einen Kollegen wahrnimmt. Dort lag gegen zwei Mieterinnen einer Wohnung ein gerichtliches Vollstreckungs-Urteil vor, weil sie ihre Nachbarn über Monate hinweg beschimpft und bedroht hatten.
Da sich die Frauen weigerten, auszuziehen, und eine sogar mit Selbstmord drohte, waren neben der Speditionsfirma und dem Vermieter schließlich noch die Polizei, die Feuerwehr, ein Pfarrer und ein Arzt vor Ort. Gebracht hat der Aufwand zumindest an diesem Tage nichts - den mehrtägigen Aufschub, den Pult ihnen einräumte, nutzten sie, um sich selbst um eine neue Bleibe zu kümmern und so der Zwangsräumung zu entgehen.