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Wartburg Kombi war hier zu Hause

Von Birger Zentner 01.04.2008, 16:14

Halle/MZ, - So rollten die Lkw-Fahrgestelle aus Zittau in den 1950er Jahren in Halle an, damit sie ihre Karosserie bekamen.

Günter Bragulla muss in Erinnerung daran noch heute schmunzeln. "Später wurden die Fahrgestelle per Eisenbahn angeliefert", erzählt der Mann vom Jahrgang 1934, der bei sich zu Hause in acht dicken Ordnern die Erinnerung an das Karosseriewerk Halle bewahrt, das zum Ende der DDR rund 1 000 Beschäftigte an seinen Standorten Merseburger Straße und Berliner Straße in Diemitz hatte.

Übrig geblieben von dem Werk sind nur die denkmalgeschützte Villa, einst Verwaltungsgebäude, vor dem Justizzentrum an der Merseburger Straße und eben die Ordner mit Texten und Fotos bei Günter Bragulla. Er war einige Zeit Chefkonstrukteur des Werkes, später zuständig für Forschung und Entwicklung.

Irgendwann will der rüstige Rentner alles einmal dem Stadtmuseum übergeben. Denn verschwinden die Unterlagen, verschwindet auch die Erinnerung an ein interessantes Kapitel Industriegeschichte in Halle. Immerhin hat das seine Ursprünge um 1830. Genauer gesagt: 1833 gründete Ludwig Kathe eine Kutschenfabrikation. Einschlägige Publikationen bezeichnen diese Firma als ältesten Karosseriebaubetrieb Deutschlands. Halle war somit die Wiege des Karosseriebaus im Land der Daimler, Opel, Audi.

Zweites bekanntes Karosseriebauunternehmen in Halle war die aus einer Stellmacherei hervorgegangene Firma von Otto Kühn. Kühn wurde schon 1945 enteignet, Kathe existierte bis 1948, ehe beide im Volkseigenen Betrieb Karosseriewerk Halle aufgingen.

"Lange Jahre profitierte der Automobilbau in der DDR noch von dem, was die früheren Unternehmer ausgedacht und entwickelt hatten", erinnert sich Günter Bragulla. Nicht anders ging es dem Karosseriewerk. Erst als die erste Generation der Nachkriegsingenieure, zu denen auch Bragulla 1956 gehörte, in den Werken ankam, begannen eigene Entwicklungen, denen mit dem zunehmenden Alter der DDR immer engere Grenzen gesetzt wurden.

"Bis Anfang der 80er Jahre hat es noch Spaß gemacht", meint Bragulla. Obwohl schon davor die Probleme der sozialistischen Planwirtschaft und die Auseinandersetzung zwischen den Systemen zuschlugen. Das vom Westen in den 1950er Jahren verhängte Blechembargo war einerseits die Geburtsstunde der Duroplast-Karosserie für den Trabant und andererseits für Halles Karosseriewerk eine Katastrophe. Wenigstens nutzte man die Auszeit, um in Diemitz für die Taktfertigung umzubauen.

Aber immerhin, für den DDR-Fahrzeugbau war Halle eine Hochburg. Hier wurden Karosserien für den Wartburg 311 / 312 Kombi gefertigt und montiert, später für den Wartburg 353 Tourist. Legendär war Halle auch für Spezialanfertigungen, vom P 240 Sachsenring Kombi (sechs Stück) bis zum Wartburg-Rettungswagen. Nicht weniger interessant war die Lkw-Strecke. Die zehn Rundfunkübertragungswagen auf der Basis des Skoda RTO 706 oder jene Sonderanfertigung von 1957 für das Zentralkomitee der SED - ein Skoda-Hänger, der sich in 100 Quadratmeter Ausstellungsfläche verwandeln ließ.

Mehr als 30 000 Wartburg 311 / 312 Kombi verließen zwischen 1952 und 1967 das Karosseriewerk Halle, an die 140 000 Wartburg 353 Tourist anschließend. Jährlich produzierten die Karosseriewerker bis zu 2 000 Robur-Lastwagen mit geschlossenem Aufbau und 850 mit Kofferaufbau sowie 500 Robur-Busse.

Vieles blieb aber auf der Strecke, was sich Konstrukteure ausgedacht hatten. Das betraf nicht allein Entwicklungen im Trabantwerk Zwickau oder in der Wartburgfabrik Eisenach. In Halle begann man 1972 zum Beispiel mit dem Omnibusbau. Der B 26 wurde aber nur als Entscheidungsprojekt gebaut, wie sich Bragulla erinnert. Der gelbe Bus kurvte einige Zeit durch Halle, aber produziert wurde er nie. Auch mit einem Wartburg Coupé beschäftigten sich 1966 die Karosseriewerker nach einem Entwurf der Stardesigner Clauss Dietel und Lutz Rudolph. Aber auch hier machte die Planwirtschaft einen Strich durch die Rechnung.

Dafür sollte nach langem Hin und Her Anfang der 1990er Jahre das Karosseriewerk erweitert werden. "Alles war vorbereitet in Diemitz", erzählt Günter Bragulla. Doch daraus wurde nichts mehr. 1991 fand das 158 Jahre lang geschriebene Buch Karosseriebau in Halle sein Ende. 35 Jahre hatte Bragulla daran mitgeschrieben. "Wenigstens konnte ich etwas davon retten."