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Vom Karzer auf den Rektoren-Stuhl

Von HEIDI POHLE 19.12.2008, 17:20

HALLE/MZ. - Der 70-Jährige brachte eine Zusatztafel an der Rudolf-Haym-Straße / Ecke Thomasiusstraße an. Darauf ist zu lesen, dass

Haym (1821-1901) Philosoph, Literaturwissenschaftler und Publizist sowie Rektor der Universität Halle war. Mittlerweile tragen sieben Straßen in Halle Tafeln mit Zusatz-Informationen innerhalb des Projektes "Bildung im Vorübergehen", das die Bürgerstiftung betreut.

Am Nachmittag dann bestieg Günter Meißner erneut einen Zug, der diesmal in Richtung Düsseldorf fuhr. Die Reise habe sich für ihn trotz des Zeitaufwandes gelohnt, sei er doch in der Rudolf-Haym-Straße (Nähe Pfännerhöhe) aufgewachsen, wie er sagte - in unüberhörbar halleschem Dialekt. Obwohl er jetzt schon seit fast 50 Jahre im Rheinland lebt, dort Familie hat, habe er doch nie die Verbindung zur Heimat verloren. Am Freitag zum Beispiel brachte er seinen Schulfreund Hans-Joachim Berger mit zur Schilder-Zeremonie. "Ich wohnte in der Nummer 27, er in der 31", erzählte Günter Meißner.

In den Westen ist er 1959 gegangen, weil er, damals stellvertretender Leiter der Paketzustellung beim Bahnpostamt, mit den politischen Verhältnissen nicht zurecht kam. In Düsseldorf hat er als Briefträger angefangen und als Baukoordinator bei der Oberpostdirektion aufgehört. Da er die Mitteldeutsche Zeitung abonniert habe, sei er immer auf dem Laufenden, was in der alten Heimat geschehe. Er habe auf diesem Wege von der Aktion der Bürgerstiftung erfahren - und gleich gewusst, dass er sein Scherflein dazu beitragen wolle.

Während Meißner zwei Haym-Tafeln spendierte und dafür nun Pate ist, finanzierte Familie Partsch, die in der Straße seit acht Jahren lebt, die anderen beiden. Fast ein wenig schuldbewusst gestand Reinhard Partsch, dass er bislang kaum etwas über Haym gewusst habe. "Das wollten wir ändern", zumal sein Sohn, ein künftiger Lehrer, die Idee der Bildung im Vorübergehen toll fand. Dass aus der Patenschaft dann gleich noch eine Bekanntschaft Halle-Düsseldorf geworden sei, gebe dem Ganzen zusätzlichen Reiz.

Das fand auch Wolfgang Aldag von der Bürgerstiftung. Es sei schön, dass das Projekt nun über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt geworden sei, sagte er. Und Ingeborg von Lips, die die "Bildung im Vorübergehen" vor gut einem Jahr ins Leben gerufen hatte, stellte Rudolf Haym kurz vor. Der in Schlesien Geborene habe in Halle 1839 begonnen, Theologie, Philosophie und Philologie zu studieren. Als er sich für einen kritischen Theologen einsetzte, kam er in das Uni-Gefängnis, den Karzer, acht Tage lang. Haym, der 1848 / 49 auch der Frankfurter Nationalversammlung angehörte, habe also eine bemerkenswerte Karriere gemacht: "Vom Karzer auf den Rektorenstuhl der Uni (1873 / 74)." Bereits drei Jahre nach seinem Tod habe die Stadt eine Straße nach ihm benannt, was seine Wertschätzung unterstreiche, sagte sie.