Verstopfte Kläranlage Verstopfte Kläranlage in Halle (Saale): Dieser Mann taucht freiwillig in Fäkalien

Halle (Saale) - Wenn ihm die Fäkalien bis zum Hals stehen, schließt er die Augen und taucht unter. Lutz Wiese ist Berufstaucher und hat mit drei Kollegen in den letzten Tagen in einem der beiden Faultürme in der „Kläranlage Nord“ in Halle-Lettin gearbeitet. Dort, wo alles Braunstinkige landet, was der Rechen zuvor nicht aus dem Abwasser gefischt hat, wühlten die Taucher nach dem Dreck, der selbst dort nicht hingehört.
Bis zu zwölf Stunden am Tag verbrachten sie dafür in völliger Dunkelheit im „Schwarzwasser“, wie Wiese es beschönend nennt. Tatsächlich sind es die vor sich hingärenden Überreste von dem, was in Halles Gullys, Abflüssen und Toiletten landet. Der Schlamm, in den die Taucher aus Rostock und Berlin abtauchen mussten, dünstet in zwei eierförmigen, weißen so genannten Faultürmen vor sich hin.
Tauchen in Fäkalien: Lutz Wiese sieht im Faulturm nichts, er muss alles ertasten
Damit die Taucher von ihrem Einstieg oben am Faulturm nicht erst 20 Meter fauligen Unrat durchqueren müssen, um an ihr Ziel am Boden zu kommen, wurde der „Schlamm“ auf acht Meter abgelassen, erklärt Ingenieur Stefan Ströhl von der Kläranlage in Lettin. Um bis zur Oberfläche des Schlamms im Faulturm zu gelangen, muss Wiese von einem Kollegen an einer Stahlwinde herabgelassen werden.
Das Seil ist hinten an seinem Gummianzug eingeklinkt. In den Anzug pumpt ein Kompressor durch einen langen Schlauch ohne Unterlass Atemluft. Der bläht sich deshalb auf wie ein Luftballon. Das Fenster im 18 Kilogramm schweren Helm nützt dem gelernten Maschinenschlosser im „Schwarzwasser“ wenig. „Ich muss alles ertasten, dafür gucke ich mir vorher die Pläne des Turms an“, so der 54-Jährige.
Überdimensionaler Quirl wälzt den Schlamm im Faulturm - wird aber Tampons und feuchtem Toilettenpapiert verstopft
Kurz über der Oberfläche „schüttelt man sich und dann geht’s los“, so der Profi. Die Füße voran taucht er unter, die Taschen voll Blei. „Von allein würde ich nicht wieder hochkommen.“ Das Stahlseil bleibt deshalb immer fest an ihm eingehakt - Sicherheit geht über alles.
In der Kläranlage in Lettin werden täglich 75.200 Kubikmeter Abwasser gereinigt. Am Ende bleiben davon im Jahr 17.000 Tonnen Klärschlamm übrig. Sie faulen in zwei Türmen, das dabei aufkommende Methangas nutzen die Stadtwerke als Energiequelle. Fasern von Tampons, feuchten Tüchern oder Windeln, die fälschlicherweise in der Toilette entsorgt wurden, können nicht zersetzt werden. Ihre Fasern wickeln sich im Laufe der Jahre wie Haare im Abfluss zu einem Knäuel, der die Anlage verstopfen kann.
Dann legt er mit der Arbeit los, für die er gerufen wurde: den Quirl sauber machen. „Während des Faulprozesses wird der Schlamm von einem überdimensionalen Quirl immer wieder umgewälzt“, so Ingenieur Ströhl. Den sollten die Taucher reinigen, denn an den Standfüßen hatten sich aus Fasern, etwa von Tampons und feuchtem Toilettenpapier, über die Jahre große Fusselzöpfe gebildet. Die verstopfen die Mechanik und müssen weg. „Von Hand“, sagt Wiese.
Tauchen im Faulturm in Halle (Saale): Da unten passiert alles in Zeitlupe
„Wie in Honig ist es da unten“, sagt er. Jede Bewegung ist grob und unendlich langsam am Boden des Faulturms. „Alles in Zeitlupe“, sagt der Taucher. Nach und nach reißt er unten die Faserzöpfe vom Quirl los. „Ich packe das Zeug unten in einen Behälter“, sagt er. Regelmäßig holt ein Kollege an einem Seil den gesammelten Faserdreck nach oben. Alle paar Stunden wird gewechselt. Dann ist ein anderer Taucher dran, im Tiefschwarz nach unten zu tauchen. Ein ganzer Container voll ist es am Ende es zweiwöchigen Einsatzes.
Ein Scheißjob? „Nein“, sagt Wiese. Immerhin ist es in so einem Faulturm ja schön warm. Anders als im Meer oder im Winter in Kanälen, wo er ebenfalls taucht. „Die Ostsee war bisher am schönsten, da hatte ich 15 Meter Sicht“, sagt der Rostocker. Nach dem Einsatz in Halles Kläranlage geht es für ihn nächste Woche weiter nach Hamburg. „Kampfmittelräumung“, sagt er. (mz)
