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Thalia am Markt Thalia am Markt: Eine Kindheit, die keine war

Von Peter Godazgar 21.01.2002, 18:45

Halle/MZ. - Josef Muscha Müller war neun Jahre alt, als er vom Weihnachtsmann nichts mehr wissen wollte. Denn der Weihnachtsmann, den er kurz zuvor getroffen hatte und vor dem er sogar brav ein Gedicht aufgesagt hatte - dieser Weihnachtsmann hatte den Jungen mit grober Stimme gefragt, ob er tatsächlich glaube, "dass so ein Zigeunerpack wie du Geschenke bekommt". Im Thalia am Markt war es sehr still, als Josef Muscha Müller diese Szene erzählte.

Der 70-Jährige war am Dienstag aus Berlin nach Halle gereist - an den Ort, wo er seine Kindheit verlebte, eine Kindheit freilich, die diesen Namen nicht verdient: Als adoptierter Sinto-Junge wurde er von den Nazis zwangssterilisiert, später aus dem Krankenhaus entführt und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in einer Gartenkolonie versteckt.

Der Besuch bildete zugleich den Auftakt zur Probenarbeit für ein neues Stück am Thalia, das sich mit Muscha Müllers Leben beschäftigt. Neben den Schauspielern waren allerdings auch alte Freunde Müllers anwesend sowie zwei neunte Klassen des halleschen Trotha-Gymnasiums und der Sekundarschule Ostrau.

Regelmäßig berichtet Muscha Müller Schülern von seiner Lebens- und Leidensgeschichte - nüchtern, bisweilen sogar mit Humor erzählt er von der Ablehnung und den Anfeindungen, die er als Junge immer wieder erfahren musste. Die Besucher bindet er in seine Berichte ein, indem er sie an die Hand nimmt und ihnen spontan Rollen zuweist. Die Arbeit mit Jugendlichen ist dem "Berliner Hallenser", wie er sich selbst nennt, umso wichtiger, weil es gerade Schüler waren, die mehr von seinem Schicksal erfahren wollten und die Müller immer wieder dazu drängten, seine Geschichte aufzuschreiben.

Einen Teil seiner Wirkung verlor der Bericht allein durch seine Länge und übermäßigen Detailreichtum. Nach immerhin knapp zweieinhalb Stunden beendete eine Schulklasse sozusagen selbst den Vortrag. Die Schüler mussten einen Zug erreichen. Das war schade.

Das Stück zum Leben wird übrigens unter der Regie von Marold Langer-Philippsen Ende Februar an ungewöhnlichem Ort aufgeführt: in einer Straßenbahn nämlich, die während der Vorführung durch Halle fährt, vorbei an den Orten von Müllers Kindheit.

Das Stück "Zwangssterilisiert - eine Kindheit in Halle" wird am 28. Februar Premiere haben.