Stadtteil Südstadt Stadtteil Südstadt: in Halle (Saale) Wie das Viertel weg vom Dorf-Flair kam

Halle (Saale) - Am Tallinn eine Limo trinken, im Pestalozzipark spielen und jedes Jahr auf das große Parkfest. So viele Schnörkel Birgitt Kuntzschmanns Leben auch gemacht hat, am Ende kreiselte es immer um Halles Süden. Mehr als 20 Jahre war sie Hortleiterin der Diesterwegschule und blieb es, nachdem die Horte aus den Schulen in Halles Süden ausgelagert und gebündelt wurden - im Hort Kinderpark.
Heute arbeitet sie im Hort des Kinder- und Jugendhaus e.V. in der Wiener Straße. 1974 wurde das flache Gebäude zum Hort, davor war es Kita und Krippe. 1998 übernahm der freie Träger „Kinder- und Jugendhaus e.V.“ die Räume mit großer Aula. Kuntzschmann leitete die Einrichtung bis vor kurzem. In der Schulzeit verbringen hier mehr als 400 Schüler aus der ganzen Südstadt ihre Nachmittage, in der Ferienzeit noch mehr als 100.
Die Südstadt war einst wie eine Lücke in Halles Stadtbild mit viel Feld und Acker. Über Jahrzehnte schloss sich die Gegend langsam zu einem Wohnviertel - und hat dabei viel verdrängt sowie Neues hervorgebracht.
Rückblick in Kindheitstage: Früher wirkte die Südstadt wie ein Dorf
„Ich komme aus dem Süden und es hat sich nach meinem Studium so ergeben, dass ich wieder in dem Viertel arbeiten konnte“, erzählt Kuntzschmann. Zurück in bekannte Gefilde sozusagen. Als Kind besuchte Kuntzschmann die „POS Karl-Liebknecht“. Die wurde später umstrukturiert und alle, die unterhalb der Ammendorfer Straße wohnten, mussten danach in die Südstadtschule.
In Kuntzschmanns Kindheit war viel von dem, was heute ein Wohngebiet ist, noch Feld und Acker. „Hier zum Beispiel war früher nur Feld, da gab es die ganzen Mehrfamilienhäuser noch nicht so“, erzählt sie. Alles sei etwas kleiner, fast schon dörflich gewesen.
Südstadt in Halle (Saale): Die Stadt wirkte weit weg - und Kutschen zogen mit Bierfässern durch die Straße
Halle wirkte weit weg, mal in die Altstadt zu fahren war für Kuntzschmann damals ein aufregendes Erlebnis. Vielleicht auch, weil es nicht so oft nötig war, für Erledigungen den Süden zu verlassen. „Es gab alles hier, einen Milchmann, eine Bäckerei, Fleischer und Gemüseladen“, so Kuntzschmann. „Früher, als ich noch Kind war, kam sogar der Eismann durch die Straßen“, erinnert sie sich. Aber nicht so wie heute - Eiskerze oder Colaeis – „richtiges Eis im Block. Laut klingend zog er durch die Straßen und meine Eltern haben mich mit einem Netz losgeschickt, um ein Stück zu holen.“
Ebenso aus der Zeit gefallen kommt das Bild eines Pferdewagens daher. „Ja, so war das ganz früher, da fuhren Kutschen von der Brauerei mit großen Fässern beladen hier durch.“
Südstadt in Halle (Saale): Das Parkfest ist noch heute Tradition
Im Sommer spielten die Kinder auf den Hinterhofwiesen und das Highlight in jedem Jahr war später das große Parkfest am Tallinn. Die Gaststätte gibt es heute nicht mehr. Es gab immer mal Probleme, erzählen die Anwohner - irgendwann war mit dem Seniorentanzabend Schluss, dann stand Wasser im Keller. Der Betrieb schloss und das Gebäude blieb einige Jahre leer bevor es 2003 restlos weggebaggert wurde. „Wir sind jetzt nicht ständig im Tallinn essen gegangen, so war das nicht. Aber das Parkfest war ein Muss“, erzählt Kuntzschmann.
Als Jugendliche war das Fest rund ums Tallinn natürlich die beste Gelegenheit, um jemanden kennenzulernen. „Zum Parkfest kennengelernt und später im Kuba Klub an der Diesterwegschule verabredet, das war typisch.“
1966 fand das Parkfest das erste Mal als Wohngebietsfest statt. Aktuell wird es federführend vom Kinder- und Jugendhaus e.V. mit organisiert. Zwei Tage lang Programm, schlemmen und gemütliche Treffen in einem Stadtteil, von dem die Bewohner besonders dessen Ruhe schätzen und die meisten Leute deshalb sonst ihrer Wege gehen.
Südstadt in Halle (Saale): Der Kinder- und Jugendhaus e.V. hat hier große Strahlkraft
Die Strahlkraft des Vereins im Viertel ist gewaltig. Kein anderer ist in der Südstadt so sichtbar. „Auf den Festen ist jedes Mal viel los, da kommen auch Leute, die hier keine Kinder im Hort haben“, so Kuntzschmann. 6.000 Gäste sind zu Spitzenzeiten gleichzeitig auf dem Fest. Heute trifft man auf dem Parkfest ehemalige Klassenkameraden, die man sonst das ganze Jahr nicht sieht, „von denen sind übrigens sehr viele hier geblieben oder wieder hergezogen“, so Kuntzschmann. Daneben stellt das Kinder- und Jugendhaus in der Südstadt noch ihren Ostermarkt, den Weihnachtsmarkt und das Hortfest auf die Beine.
Südstadt in Halle (Saale): Ganz langsam hat sich das Viertel verändert
Nach und nach wuchs die Südstadt zu. Innerhalb der Viertelgrenzen gibt es heute kaum noch freie Flächen. „Das kam so schrittweise, einen richtigen Boom mit einem Mal gab es nicht“, erinnert sich die Erzieherin. Wo früher noch kleine Gärten waren, entstanden breite Bordsteine und neue Häuser. In einigen Straßen, nahe der Moskauer Straße behelfen sich die Mieter damit, das kleine Rasenfleck vorm Balkon zu bepflanzen. Irgendwann war das Viertel schließlich anders.
„Nach der Wende ging das Miteinander etwas verloren.“ Die Kinder spielten seltener auf den Straßen, plötzlich wusste man nicht mehr den Geburtstag vom Nachbarn. „Und dann teilte sich die Gegend in zwei Hälften.“ Heute kursiert fast schon als Schimpfwort der Begriff „tiefste Südstadt“. Damit gemeint ist der Teil, der näher an der Silberhöhe denn an den beschaulichen Schollehäuschen um den Diesterweg ist. Fast scheint es, als hätten die Südstädter Sorge, die Silberhöhe könnte in ihre Heimat hereinwachsen. (mz)