Seuchen Seuchen: «... viel Menschen hinweg gerafft»
HALLE/MZ. - Es waren gefährliche Zeiten: Schon 1006 folgte eine "geschwinde Pestilenz", in deren Verlauf "viel Menschen hinweggerafft" wurden. Die Seuche hat "so grausam gewütet, daß man befürchtet, es würde das ganze menschliche Geschlecht dadurch ausgerottet werden". Nur zwei Jahre die nächste Seuchenwelle: Und man hat "nicht Leute genug gehabt, die Todten zu begraben".
So ist es nachzulesen in der "ausführlichen diplomatisch-historischen Beschreibung des Saale-Creyses und aller darinnen befindlichen Städte", 1750 verfasst von Johann Christoph Dreyhaupt, zu finden - mit vielen weiteren Dokumenten zum Thema Seuchen - in Halles Stadtarchiv. Im Kapitel "Von Pestilenz und Sterbensläufften" zählt Dreyhaupt über mehrere Seiten die großen und noch größeren Katastrophen auf, die diesen Landstrich heimgesucht haben.
Flugblätter statt Impfungen
Tausende starben - nicht deutschlandweit, wohlgemerkt, sondern im kleinen Halle: Mitte des 14. Jahrhunderts, als Pestwellen durch ganz Europa rollten, verlor das Städtchen von seinen 8 000 bis 10 000 Einwohnern mindestens 3 000 - "in dem Barfüßler Kloster blieben von 30 nur 3 Brüder am Leben", notierte im Jahr 1952 der damalige Direktor des Hygienischen Instituts, Prof. Friedrich Winkler.
Johann Christoph Dreyhaupt zählt chronologisch auf: 1506: "bey 3 000 Menschen". 1541: "über 4 000". Und 1682 "schlich sich die Pest von Eisleben allhier ein" - grausige Bilanz: "5 670 Menschen hinweg gerafft".
Impfungen gab es natürlich keine, stattdessen kämpfte man mit Flugblättern gegen den schwarzen Tod, sowie gegen Pocken und Masern. Mit den Kranken ging man nicht gerade zimperlich um - "Kollateralschäden" nahm man in Kauf: Friedrich Winkler berichtet, im 14. Jahrhundert habe man jene Straße, in der die ersten Pest-Fälle aufgetreten waren - nämlich den späteren Graseweg - kurzerhand "vermauert (...), so dass, wer gesund blieb, darin verhungert sei".
Auch Prominente starben, im 16. Jahrhundert beispielsweise der junge Erzbischof Sigismund. Und es war ja nicht allein die Pest, die das Leben bedrohte: Erstmals in Halle erwähnt wird 1493 die Syphilis, die sich "bei den herrschenden Geschlechts- und Badesitten rasch verbreiten konnte". Über die Lepra gibt es zwar keine Berichte aus Halle, Friedrich Winkler geht aber davon aus, dass auch hierzulande Aussätzige zum Straßenbild gehörten - und dass sie, "in langen Gewändern, bestickt mit der warnenden Hand, Kreuze am roten Hut, die Klapper schlagend gebettelt haben, bis man sie abends aus der Stadt vertrieb".
Keine Cholera in den Stiftungen
Die Hoffnung starb zuletzt - Dreyhaupt schreibt 1750: "Nach dieser Zeit (1682) ist durch Gottes Gnade die Stadt nebst hiesigen Landen vor der Pest und anderen ansteckenden Seuchen bewahret worden, der sie nach seiner Barmherzigkeit auch ferner gnädig behüten wolle."
Ein frommer Wunsch. Andere Zeiten, andere Seuchen. Im 19. Jahrhundert starben die Menschen an Typhus und Cholera. Als Beilage in Tageszeitungen erschienen die "Hallischen Cholera-Blätter", in denen über die Krankheit und Vorsorgemaßnahmen informiert wurde. Mindestens drei große Cholera-Wellen zählen die Chronisten im 19. Jahrhundert: 1831, 1848 / 49 sowie 1866, die Zahl der Toten überstieg jeweils die 1 000er-Marke.
Die Franckeschen Stiftungen übrigens blieben oft frei von Cholera - weil sie, wie Winkler vermerkt, "ihre besondere und gute Wasserversorgung hatten und auch die Faekalienbeseitigung wenigstens so geregelt hatten, daß sie nur den tiefer gelegenen Nachbarn gefährlich werden konnte".
Ach ja, Grippewellen gibt es natürlich auch seit Jahrhunderten - die letzte große, 1918 / 1919, forderte Berichten zufolge in Halle "556 Menschenleben". Dramatisch? Wie man's nimmt: Der Chronist jedenfalls setzte vor die Zahl das Wörtchen "nur".