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Schulfrei wider WillenSchulfrei wider Willen: Eltern aus Halle klagen über teils drastische Folgen

Von Robert Briest 20.09.2016, 03:45
Birthe Peißert und ihr Sohn Paul
Birthe Peißert und ihr Sohn Paul Holger John

Halle (Saale) - Birthe Peißert schiebt ihren Sohn Paul, der wegen einer angeborenen Fehlbildung von Skelett und Muskulatur im Rollstuhl sitzt, durch die Gänge des Landesbildungszentrums (LBZ) für Körperbehinderte in der Murmansker Straße. Paul besucht dort die zweite Klasse. Meistens jedenfalls. Denn zuletzt hat Paul viel Unterricht verpasst. Doch verschlechtert hat sich nicht sein Gesundheitszustand, sondern die Betreuungssituation am LBZ. Das musste zum 1. September 13 seiner einst 29 Pädagogischen Mitarbeiter (PM) an Schulen für Kinder mit geistiger Behinderung oder Verhaltensausfälligkeiten abgegeben, um dort Lücken zu schließen.

Land korrigierte Betreuungsschlüssel deutlich nach oben

Das Land korrigierte den seit vielen Jahren geltenden Betreuungsschlüssel deutlich nach oben. Statt für eine Klasse, sind die verbliebenen PM nun für zwei Klassen zuständig, in denen sie die Lehrer bei ihrem Unterricht unterstützen und die Schüler, die teils sehr unterschiedliche Behinderungen haben, betreuen. Da zudem aufgrund des hohen Krankenstandes auch die medizinische Abteilung schließen musste, schlagen die Eltern nun Alarm. Sie berichten, dass Schüler teilweise nicht auf Toilette könnten, weil sie niemand bringen kann, dass Lehrangebote gestrichenen wurden und es Probleme bei der medizinischen Versorgung gebe, wegen denen sie ihre Kinder früher holen oder teils gar nicht zur Schule schicken könnten und deshalb ihren Urlaub und die Geduld ihrer Arbeitgeber strapazieren müssen.

Birthe Peißert sagt etwa, Paul habe in diesem Monat bereits sieben Unterrichtstage ganz oder teilweise verpasst. Weil er Morphium nehmen müsse, hänge er oft morgens durch. Bisher habe ein PM Paul dann auf die Matte gelegt, bis es ihm besser ging. „Das ist jetzt nicht mehr möglich.“ Deshalb bekomme sie nun meist schon morgens einen Anruf. Oder bringt Paul gar nicht mehr in die Schule, wenn er morgens durchhängt. Das komme in letzter Zeit häufiger vor, da das Morphium nun nicht mehr am LBZ gelagert und verabreicht werden kann. „Paul bekommt morgens jetzt so eine hohe Dosis, dass es ihn umhaut“, sagt Peißert.

Pauls Klassenkameradin Lana ist Diabetikerin. Ihr Blutzuckerwert muss regelmäßig kontrolliert und ihr bei Bedarf Insulin verabreicht werden. Doch dies kann zur Zeit niemand an der Schule. Vorvergangene Woche habe sie Lana deshalb komplett zu Hause gelassen, berichtet ihre Mutter Sandy Karig. Mittlerweile hat sie einen Pflegedienst engagiert. Doch auch der könne nicht immer vor Ort sein.

Schule sei bisher deutlich besser ausgestattet gewesen

Landesweit mussten insgesamt acht Förder- und 51 Grundschulen PM abgeben. Dem Land fehlen zahlreiche PM, wie Minister Marco Tullner (CDU) bereits einräumte. Dies liegt auch daran, dass das Land über mehr als zehn Jahre keine neuen eingestellt hat. Zudem arbeiten seit Sommer etwa 60 entsprechend ausgebildete PM als Grundschullehrer. Derzeit wird auf Landesebene über Neueinstellungen diskutiert.

Das LBZ für Körperbehinderte soll zunächst allerdings keine bekommen. Die Schule sei bisher deutlich besser ausgestattet gewesen als vergleichbare, heißt es aus dem Bildungsministerium. Dem sind keine Fälle bekannt, in denen Schüler aufgrund der neuen Personalsituation nicht mehr den Unterricht besuchen könnten. Ohnehin sieht das Land die Zuständigkeit für pflegerische und medizinische Leistungen bei den Kassen und möchte die Landesmitarbeiter da möglichst außen vor halten. Die PM seien vor allem dafür zuständig, die Lehrkräfte bei der Umsetzung des Bildungsauftrags zu unterstützen, erklärte Ministeriumssprecher Stefan Thurmann.

(mz)