1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. Im Ratshof hatten Mitarbeiter schon das OB-Büro geputzt: Schockstarre nach Urteil gegen Wiegand

Im Ratshof hatten Mitarbeiter schon das OB-Büro geputzt Schockstarre nach Urteil gegen Wiegand

Der Schuldspruch gegen Halles OB kam für viele überraschend. Unter Stadträten regt sich Genugtuung. Endet jetzt die Hängepartie im Ratshof und was ist, wenn Wiegand zurücktritt?

Von Dirk Skrzypczak und Jonas Nayda Aktualisiert: 19.04.2024, 20:01
Mit starrem Blick in Richtung des Gerichts verlässt Bernd Wiegand nach seiner Verurteilung den Verhandlungssaal.
Mit starrem Blick in Richtung des Gerichts verlässt Bernd Wiegand nach seiner Verurteilung den Verhandlungssaal. (Foto: Steffen Schellhorn)

Halle (Saale)/MZ - Auf der privaten Internetseite von Bernd Wiegand steht noch sein Beitrag vom 31. Januar. „Ab jetzt regiert das Recht, endlich kann auch der letzte verbliebene strafrechtliche Vorwurf gerichtlich geklärt werden“, schrieb der parteilose OB in großen Lettern. Am Donnerstag hatte das Landgericht Recht gesprochen und den 67-jährigen Politiker wegen mehrerer mutwilliger Falschaussagen in einem Zivilprozess zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 140 Euro verurteilt. Unmittelbar nach dem Richterspruch kündigte Wiegand an, sich mit seinen Anwälten beraten zu wollen. Seitdem ist es still um den OB geworden. Eine Woche hat er Zeit, Revision gegen das Urteil einzulegen. Das letzte Wort hätte dann der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe.

Zufrieden und enttäuscht

Auch im politischen Halle bleibt es bislang erstaunlich ruhig, so als ob die Verurteilung – wenngleich noch nicht rechtskräftig – Freunde wie Kritiker des OB in Schockstarre versetzt hätte. Von Stadtratsfraktionen, die üblicherweise häufig Pressemitteilungen verschicken, kam keine Reaktion. Nach MZ-Informationen herrscht jedoch bei vielen Stadträten Erleichterung.

Hinter vorgehaltener Hand geben einige Räte zu, dass der Richterspruch für sie sehr überraschend kam. Zu oft habe Wiegand es in der Vergangenheit geschafft, sich aus scheinbar ausweglosen Situationen wieder herauszuwinden. Zu selten habe man ihn für etwas juristisch verantwortlich machen können. Dass der OB nun „endlich“ verurteilt wurde, hat bei einigen Räten für Genugtuung gesorgt. Außerdem dürften sich viele in ihrer Entscheidung bestätigt sehen, Wiegand im April 2021 suspendiert zu haben.

„Dass Wiegand gelogen hat, verwundert mich nicht, hat er doch auch Protokolle geändert und versucht, den Stadtrat durch Falschaussagen zu verwirren“, sagte Grünen-Fraktionsvorsitzende Melanie Ranft auf MZ-Nachfrage. Das sei unwürdig gewesen. Sie spielt damit auf die Impfaffäre an, durch die der OB im Frühjahr 2021 ins Straucheln geraten war. Laut Bodo Meerheim, Fraktionsvorsitzender der Linken und langjähriger Wiegand-Kritiker, habe der OB sich immer gekonnt inszeniert. „Jetzt hat er die Quittung bekommen. Der kommt nicht wieder.“

Wie lange die Stadtspitze noch ohne OB auskommen muss, ist unklar. Wiegands Amtszeit endet 2026. Die Rufe nach einer Neuwahl werden lauter. „Ich verbinde mit dem Urteil die Hoffnung, dass der Prozessmarathon in der Causa Bernd Wiegand nun endet und die Hallenserinnen und Hallenser endlich ein neues Stadtoberhaupt wählen können“, meinte CDU-Fraktionsvorsitzender Andreas Scholtyssek. „Die gegenwärtige Lähmung in der Stadtpolitik schadet unserer Stadt.“ Nach MZ-Informationen sind mehrere Fraktionen inzwischen wieder bereit, über einen Abwahlantrag zu reden. Bisher war die notwendige Drei-Viertel-Mehrheit nie zustande gekommen. „Ich hoffe, dass es mit dem neuen Stadtrat eine Mehrheit dafür geben wird“, sagte Melanie Ranft.

Traurig und enttäuscht von dem Urteil zeigte sich hingegen Hauptsache-Halle-Fraktionsvorsitzender Andreas Wels. „Ich hatte mit einem Freispruch gerechnet“, sagte er auf MZ-Anfrage. Für einen Gang vor den BGH wünsche er Wiegand nun viel Kraft. Und sogar im Ratshof hatten die „Wiegandisten“, wie es in sozialen Netzwerken hieß, offenbar mit einem Freispruch gerechnet. Nach MZ-Informationen soll das alte Büro des Stadtoberhauptes für den Fall hergerichtet worden sein, dass der OB schon am Freitag wieder zur Arbeit erscheint.

Sollte Wiegand in Revision gehen, müsste er sie innerhalb einer Woche beim Landgericht einreichen. „Der Angeklagte hat dann noch Zeit, die Begründung nachzureichen. Anschließend geht der Fall über die Staatsanwaltschaft zum Generalbundesanwalt, der dann den BGH einschaltet“, sagte eine BGH-Sprecherin am Freitag der MZ. Wie lange es dauere, bis über die Revision entschieden werde, könne sie nicht sagen. Laut Statistik liegt die Bearbeitungszeit im Durchschnitt bei drei bis sechs Monaten. Die Bundesrichter rollen den Prozess aber nicht neu auf. Sie prüfen lediglich, ob das Landgericht Verfahrensfehler begangen hat oder die Urteilsbegründung nicht schlüssig ist. Das Landgericht Halle hatte sich intensiv mit der Klage der Staatsanwaltschaft befasst und ein Jahr lang im Hintergrund alle Fakten geprüft, bevor der Prozess eröffnet wurde.

Kommt jetzt der Rücktritt?

Auf den Fluren der Stadtverwaltung wird derweil gerätselt, ob der suspendierte OB jetzt das macht, was er zuletzt stets ablehnte: zurücktreten. Er könnte auf diese Weise seine Altersbezüge sichern, wird gemunkelt. Sollte Wiegand nämlich durch das Disziplinarverfahren, das das Landesverwaltungsamt gegen ihn führt, aus seinem Amt entfernt werden, könnte das für ihn schmerzhafte finanzielle Einbußen bedeuten.

„Man kann pauschal nicht sagen, dass ein Disziplinarverfahren durch einen Rücktritt endet. Wenn die Ruhebezüge Teil des Verfahrens sind, geht es weiter“, sagte der ehemalige Verfassungsrichter Professor Winfried Kluth, der Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität lehrt, der MZ. Im Fall einer unehrenhaften Entlassung könnte Wiegand alle seiner Altersbezüge oder einen Teil davon aus seiner Zeit als OB verlieren. „Bei der Strafzumessung geht es um die Verhältnismäßigkeit. Es spielt eine Rolle, welche Verfehlungen dem Wahlbeamten im Laufe der Jahre angelastet werden“, so Kluth.