Sportparadies am Böllberger Weg in Halle Sachsen-Anhalts kurzlebigster Lost Place wird abgerissen
Zwölf Jahre Bauzeit, 30 Millionen Euro Kosten. Das „Sportparadies“ sollte die größte und modernste Sportanlage Ostdeutschlands werden. Doch noch vor der Fertigstellung begann der Abriss des Riesenbaus, den Graffiti-Künstler zuletzt als Galerie nutzten. Nun entsteht ein Wohngebiet.

Halle (Saale)/MZ - Der Beton riecht fast noch frisch und die breiten Treppen haben nicht einmal ihre Geländer bekommen. Tauben fliegen durch die endlosen Hallen des Sportparadieses am Böllberger Weg in Halle. Durch das Dach tropft Regen auf den zementierten Boden, Moos wächst, wo es feucht und sonnig genug ist.
Wenn die Bagger Pause machen, ist es ganz still in den weiten Sälen, die eigentlich hätten Fußball- und Tennisplätze werden sollen, Zuhause für Kletterfelsen und Squash-Courts, mit Cafés und Biergarten, Sanitäranlagen, Büros und Möglichkeiten für Reha-Sport.
Sportparadies am Böllberger Weg in Halle sollte Sachsen-Anhalts größter Indoor-Sportkomplex werden
Vor 13 Jahren hatte der Leipziger Unternehmer Holm Lischewski mit dem Bau der Mammutanlage begonnen, die nicht nur Sachsen-Anhalts größter Indoor-Sportkomplex, sondern der größte auf dem Gebiet der ehemaligen DDR geworden wäre. Der gebürtige Hallenser, von Beruf Apotheker, baute auf historischem Boden.

Ende des 19. Jahrhunderts hatte Bernhard Most hier am Abzweig der Elisabeth-Saale seine „Dampf-Schokoladen- und Honigkuchenfabrik“ errichtet. 1935 gehörten dem Pfefferkuchenbäcker 165 Läden in ganz Deutschland. Halle war das Zuhause des größten deutschen Schokoladenimperiums.
Im Zweiten Weltkrieg endet die Erfolgsgeschichte. Most muss auf kriegswichtige Produkte umstellen, seine Fabrik wird bei Bombenangriffen schwer zerstört und nach Kriegsende enteignet. Mosts flüchten in den Westen, ihre Firma wird Teil des VEB Süßwarenkombinates. In die Produktionsgebäude zieht allerdings eine Tochterfirma der Buna-Werke, die Plasttapeten, Rohre, Dachrinnen und Fußbodenbelag herstellt.
Bauarbeiten des Sportparadieses am Böllberger Weg standen unter keinem guten Stern
Nach 1990 kann sich das Unternehmen nicht am Markt halten. Mosts imposanter fünfstöckiger Backsteinbau verwandelt sich in eine Ruine, die zwischen Stadt und Saaleaue wie ein hohler Zahn in den Himmel sticht. Es brennt häufig auf dem Gelände, im Boden werden zudem Altlasten vermutet.

Als Holm Lischewski sein Projekt vorstellt, mit 180 Metern Länge und 65 Metern Breite nahezu zwei Fußballfelder groß, bricht dennoch kaum Begeisterung aus. Der Bebauungsplan für das „Sportzentrum Böllberg“ geht nach langen Diskussionen durch. Zugleich sieht sich der Investor mit Forderungen konfrontiert, in die alten Kellergewölbe eingezogene Fledermäuse zu schützen und die Fassade neu zu gestalten.
Kein guter Stern, unter dem die Bauarbeiten stehen. Als sie endlich starten können, beginnt auch die globale Finanzkrise. Es dauert fünf Jahre, bis die Hallen stehen und das Dach geschlossen ist, stockend und mit großen Pausen geht es weiter. Als der Rohbau fertig ist, kann das „Sportparadies“ dem Berliner Hauptstadtflughafen bauzeitmäßig Konkurrenz machen.
Sportparadies am Böllberger Weg: Finanzierung kippt mit Rohbau
Und auch die Kosten sind explodiert: Statt von zehn Millionen Euro ist nun von 30 die Rede, wenigstens. Zu viel, selbst für den hartnäckigsten Investor. Das Geld wird knapp, die Kritik lauter. Längst gilt die Industriebrache an der Saale nicht mehr als lästige Restfläche, die irgendwie genutzt werden muss, sondern als Filetstück für innerstädtisches Wohnen.

Das Ende kommt schnell, verglichen mit dem langen Anfang. Als der Rohbau steht, zehn Jahre nach dem geplanten Eröffnungstermin, mit wallendem Dach und gestuften Traufhöhen, kippt die Finanzierung weg. Die Fledermäuse in den Tonnengewölben sind gerettet. Holm Lischewskis Traum aber ist verloren.
Lost Place Sportparadies am Böllberger Weg wird abgerissen
Ein neuer Investor übernimmt. Kurzzeitig ziehen Graffiti-Künstler in die imposanten Hallen der größten Investruine des Landes. Die steht in ihren letzten Wochen wie ein Mahnmal für sich selbst, während Handwerksfirmen gerade eingebaute Fenster wieder ausbauen.

Der neue Investor wollte anfangs nur Teile abreißen, nun aber soll doch alles weg. Im Moment knabbern die Bagger an den Außenmauern der Kurzzeit-Galerie. Der „Saalegarten“ - ein „neuer Stadtbaustein in bester Lage“ - braucht Platz. Die 34 Millionen teuren Reste des Sportparadieses sollen als Schotter für den Unterbau verwendet werden.
Video vom Gebäuderundgang: www.bit.ly/sportparadies