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Roma in Halle Roma in Halle: Zwei Welten auf der Silberhöhe

Von Detlef Färber und Oliver Müller-Lorey 22.07.2014, 07:25
Rund 60 Roma sind in die Staßfurter Straße in Halle-Silberhöhe gezogen.
Rund 60 Roma sind in die Staßfurter Straße in Halle-Silberhöhe gezogen. Günter Bauer/symbol Lizenz

Halle (Saale) - So sieht es also aus, das Paradies: Hell getünchte Häuser mit viel Grün ringsum, Kaufhallen links und rechts in kaum mehr als hundert Metern Entfernung: Herz, was willst du mehr? In Halle liegt so ein Paradies in der Silberhöhe - in der Staßfurter Straße genauer gesagt. Ein Paradies scheint es zumindest für jene knapp 60 zumeist aus Rumänien stammende Roma zu sein, die hier seit etwa zwei Monaten wohnen.

Mitica Udrea ist einer von ihnen. Mit Frau und 16-jährigem Sohn wohnt er nun hier - und will sich in Halle selbstständig machen. Wie es ihm gefällt? Mitica Udrea und seine Familie strahlen - und bitten herein in ihre Wohnung: ein kleines Paradies in dem Größeren - von knapp 60 Quadratmetern - tipptopp renoviert: „Das haben die alles selber gemacht“, sagt Nachbarin Irmhild Schilling mit Blick auf lindgrüne und rosarote Tapeten. Also alles eitel Freude im Haus und im Viertel ringsum?

Vorwürfe wie Ruhestörung und Sachbeschädigung

Schön wär’s. Denn schon im nächsten Gespräch ein Haus weiter wird deutlich, dass in diesem friedlichen, fast verschlafen wirkenden Viertel ziemlich die Luft brennt. Einige der Bewohner gehören zu einer 700 Mitglieder zählenden Facebook-Gruppe, die auf der Plattform ihrem Ärger luftmachen: Dabei geht es um Vorwürfe wie Ruhestörung und Sachbeschädigung, die in zum Teil haarsträubenden Sätzen geäußert wurden.

Das wiederum hat zu zahlreichen Protesten und sogar zu polizeilichen Ermittlungen wegen Volksverhetzung geführt.

In der Silberhöhe steigt die Zahl der ausländischen Bewohner. Ende 2012 lebten 378 Ausländer einschließlich EU-Ausländer im Stadtteil. Ende Juni waren es 661. Die Zahl der Mieter aus Bulgarien und Rumänien ist von acht auf jetzt 170 gestiegen. 145 davon waren EU-Bürger aus Rumänien. Im Stadtteil Silberhöhe sind derzeit 5,14 Prozent der Bewohner Ausländer inklusive EU-Bürger.

In Neustadt liegt der Anteil deutlich höher. Durchschnittlich ist der Ausländeranteil in ganz Halle seit Ende 2011 von vier auf nunmehr 4,5 Prozent Ende 2013 gestiegen. Laut Oliver Paulsen, Referent für Grundsatzfragen im Rathaus, ist in der Stadt nicht bekannt, wie viele der aus Rumänien zugezogenen Personen Roma sind. Das werde nicht extra erfasst.

Der vermehrte Zuzug habe wohl mit der seit Anfang des Jahres geltenden Freizügigkeit für EU-Ausländer aus Rumänien und Bulgarien zu tun. Zuwandern könnten Leute, die eine Arbeit in Halle haben oder sie noch suchen. Für Letzteres hätten sie drei Monate Zeit. Anspruch auf Sozialleistungen (Hartz IV, Wohn- und Kindergeld) gäbe es erst mit der Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit. (MIFA)

Rechtsextremisten den Zugang verwehrt

Etliche der Bewohner fühlen sich ihrerseits diskriminiert. Man sei in die rechte Ecke gedrängt, klagt Uta Neumann. „Aber das was wir sagen, hat alles absolut nichts mit Rassismus zu tun“, sagt die junge Frau, die als Altenpflegerin arbeitet. Vielmehr habe die Gruppe peinlich darauf geachtet, Rechtsextremisten den Zugang zu dem Forum zu verwehren.

So heißt es zum Beispiel in einem Eintrag: „Achtung, Achtung - der ... (Name der MZ bekannt) von der Schei... NPD will hier rein. Der kommt hier nicht rein, so was wollen wir hier nicht haben. Der kann sich vom Acker machen.“

Auf Seite zwei: Wie die sich Politik aus Sicht der Anwohner dem Thema stellt.

Walter Probst wohnt schon lange in der Staßfurter Straße. „Ich akzeptiere jeden, der kommt.“ Die Leute sollten auch alles kriegen, wenn sie zum Beispiel Flüchtlinge sind.

Als Beleg für ein bislang gedeihliches Zusammenleben vieler Nationen auf der Silberhöhe führen Neumann und Probst „eine jahrelange gute Nachbarschaft mit Vietnamesen, Russen und Afrikanern aus verschiedenen Ländern“ an. Da habe es überhaupt keine Probleme gegeben. Aber nun?

Man fühle sich von der Stadt mit einem Problem alleingelassen, dass es merkwürdigerweise immer nur in Vierteln wie ihrem gebe. Und nie da, wo die Politiker wohnen!

Ja, sie haben eine Beschwerde an den Vermieter unterzeichnet, sagen die Nachbarn: mit 56 Unterschriften bisher. Darin wird nur kurz zweierlei beklagt. Ruhestörung und Sachbeschädigung. Laute Gespräche der neuen Nachbarn von Fenster zu Fenster oder unten vor den Haustüren und bis nach 23 Uhr.

Das gehe ihnen, den Nachbarn aus der bislang so ruhigen Staßfurter Straße, schon auf den Wecker. „Sehr auf den Wecker!“ Hinzu kämen abgebrochene Äste von noch ganz jungen Kirschbäumen - „und alles bloß wegen drei Kirschen“.

Auch Müll und Schrott im Keller seien ein Thema - einerseits, welcher der rum liegt, anderseits welcher der plötzlich fehlt.

Was die Polizei zum Thema sagt und welchen positiven Aspekt die zugezogenen Familien mit sich bringen, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Um Dinge die plötzlich fehlen, geht es hier übrigens häufiger. Auch in den umliegenden Supermärkten. In einem hat die Geschäftsleitung die Zahl seiner Detektive kürzlich verdoppelt - vorsorglich, wie der Chef sagt.

Ob die Zahl der Diebstähle gestiegen ist, kann er allerdings nicht sagen. Über die „Inventurverluste“ - so bezeichnet der Handel vor allem Diebstähle - wisse man erst am Jahresende Bescheid.

Keine Straftaten im Zusammenhang mit Roma bekannt

Polizeisprecher Ralf Karlstedt dagegen teilt schon jetzt mit, dass keine Straftaten im Zusammenhang mit Roma bekannt seien. Dennoch wolle man mit dem Ordnungsamt gemeinsam verstärkt abends Streife laufen.

Eine Auffälligkeit, so heißt es im Supermarkt, hätten die Mitarbeiter in jüngster Zeit häufiger erlebt. Nach 19 Uhr kämen Gruppen, die mit haufenweise Cent-Münzen einkaufen wollen. Das gehe aber nicht, denn maximal 50 Münzen dürften die Kassiererinnen entgegennehmen. Woher die vielen kleinen Münzen? Als Antwort kommt lächelndes Schulterzucken.

Andere Nachbarn sind sich jedoch sicher, dass es hier auch um Bettel-Erträge gehen dürfte. Manche der neuen Nachbarinnen habe man schon mit Schild und Pappbecher an einem der einschlägigen Plätze in der Innenstadt gesehen. Damit freilich will sich keiner der Nachbarn zitieren lassen.

Was die neuen Nachbarn jedoch gleich auf den ersten Blick ins Wohngebiet bringen ist etwas, das vorher so mancher schmerzlich vermisst haben mag - nämlich: Leben. Kinder, die auf der Straße spielen, Rad fahren, lachen und, ja, dabei auch mal ein bisschen Lärm machen.

Das Problem mit dem Müll und dessen Herkunft, wird auf der folgenden Seite beschrieben.

Ob es mehr Müll gibt, der neuerdings rum liegt, da freilich scheiden sich die Geister. Die Wohnungsgesellschaft HWG sagt: „nein“, Anwohner sagen „ja“. Versuche, herumliegende Plastebecher oder Flaschen nach ihrer Herkunft zu befragen, scheitern. Hallescher Müll oder zugereister? Ein wenig Müll liegt auch in einem Hauseingang, vor dem gerade Bier getrunken wird.

Es ist 15.30 Uhr und ein bisschen gelacht und ein bisschen gelärmt wird - auf Hallesch. An dieser Gruppe von Männern mit freien Oberkörpern läuft eine Großfamilie mit Frauen und Kinder vorbei - auffällig bunt gekleidet. Bei den Frauen könnte es das Sonntagskleid sein - wenn auch keins, das in unserer Gegend üblich ist.

Ihr Stil für draußen passt dazu, wie es in mancher Wohnung aussieht - zumindest in jenem Paradies, das sich Familie Udrea mit einfachen Mitteln liebevoll hergerichtet hat. Werden die Hallenser und die Rumänen hier auf der Silberhöhe zusammenfinden? Werden sie sich buchstäblich auch ein bisschen zusammenraufen?

Verständigungsproblem

Zumindest in diesem einen Haus in der Staßfurter Straße stehen die Vorzeichen nicht so schlecht. Irmhild Schilling hat den beiden Kindern der anderen Familie aus Rumänien, die im Haus wohnt, schon Spielzeug und Bananen mitgebracht.

Und leiser sei es „da oben“ auch schon geworden.

Bleibt aber immer noch ein Problem, dass die neuen Nachbarn einander nämlich so gar nicht verstehen. Udreas haben, bevor sie nach Halle kamen, in Spanien gelebt. Spricht hier jemand spanisch? Nein.

Doch dann kommt der Augenblick, in dem Mitica Udrea unbedingt verstanden werden will: Er greift zum Handy, und ruft eine befreundete Dolmetscherin an. Die fährt gerade Auto und hat wenig Zeit. Was will der Neu-Hallenser sagen? Wie fühlt er sich? Seine kurze Antwort überrascht dann doch: „Alles wird gut.“