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Leichtathletik-WM Rico Freimuth bei der Leichtathletik-WM in London: Warum der Zehnkämpfer mit vorlauten Sprüchen auffällt

Von Christoph Karpe 11.08.2017, 07:43
Zehnkämpfer Rico Freimuth gilt in London als deutscher Medaillenkandidat.
Zehnkämpfer Rico Freimuth gilt in London als deutscher Medaillenkandidat. dpa

Halle (Saale)/London - Der Lautsprecher ist an. „Ach das ist doch auch nur ein bescheuerter Wettkampf, bei dem nur WM draufsteht.“ Oder: „Du musst dich im Kopf für den Geilsten halten.“

Rico Freimuth fällt dieser Tage mit markigen Sprüchen auf. Was nicht immer gut ankommt. Doch wer ihn kennt, weiß: So übertüncht der Zehnkämpfer aus Halle auch gern mal Nervosität. Und natürlich sind seine Nerven vor dem Start am Freitag in den zweitägigen WM-Wettbewerb zum Zerreißen gespannt.

Leichtathletik-WM: Zehnkämpfer Rico Freimuth gilt als Favorit

Das war auch schon vor fünf Jahren so. Damals, ebenfalls in London, als Freimuth als 24-Jähriger erstmals als möglicher künftiger Leichtathletik-Star auffiel: Sechster bei den Olympischen Spielen mit 8.320 Punkten. Jetzt tritt er als Jahresweltbester mit 8.663 Zählern an, gilt als Favorit.

Obwohl „die Liste des Jahres vor einem Höhepunkt überhaupt nichts aussagt“. Derselben Meinung ist auch sein Trainer: „Da sind etwa acht Athleten auf einem Niveau“, sagt Wolfgang Kühne. „In diesem Kampf Mann gegen Mann zählt die Tagesform und die Psyche. Wer fühlt: ,Heute ist mein Tag‘ und das durchzieht, kann sich durchsetzen.“

Wie Rico Freimuth negative Erlebnisse verarbeitet

Und unbedingt hilft auch Erfahrung. „Rico ist bewusster geworden in den letzten Jahren“, sagt Kühne ungeachtet der ähnlich vorlauten Sprüche wie vor fünf Jahren. Denn eigentlich ist nur die Fassade geblieben. Freimuth reflektiert sich und seine Karriere inzwischen präzise.

„Negative Erlebnisse sind wichtiger als positive“, sagt der 29-Jährige. Er benennt die lehrreichen Ausfälle: Die EM 2014 in Zürich, als er sich als Medaillenkandidat gefühlt hatte und nur Siebter geworden war. Und die Olympischen Spiele im Vorjahr. Da war er, der WM-Dritte von 2015, nach diversen Verletzungen formlos angereist. Nach dem Weitsprung folgte die Aufgabe. „Ich musste lernen, mit Positivem wie Negativem umzugehen. Du darfst einerseits nicht den Boden unter den Füßen verlieren und andererseits nicht zerbrechen“, sagt Freimuth.

Zehnkämpfer Rico Freimuth: Auch mental in Top-Form

Die WM-Medaille von Peking kann er einordnen als schönen bisherigen Höhepunkt. Das Rio-Desaster hat ihn stark gemacht. „Selbstmitleid und Schwächliches hasse ich. Ich bin kein Opfer. Wer patzt, muss auch die Eier haben, dazu zu stehen“, sagt Rico Freimuth heute.

Rico Freimuth wirkt mental noch mehr in Topform, als er es körperlich derzeit sowieso ist. „Nach Rio hat er nachgedacht, bis zum Winter Verletzungen auskuriert, just for fun Grundlagen nach eigenen Vorstellungen trainiert“, erzählt Trainer Kühne. „Zugleich zieht Freimuth sein Studium durch, das ist gut für den Kopf“, sagt er über den Merseburger BWL-Studenten. Und „trotz seines fortgeschrittenen Alters hat er sich technisch verbessert“, so der Trainer.

Zehnkampf: Das sind die WM-Konkurrenten von Rico Freimuth

Doch reicht das alles zum Gold-Coup, auf den die aktuellen Favoriten nach dem Rücktritt von US-Star Ashton Eaton hoffen dürfen? Ungewiss. Damian Warner, der kanadische Götzis-Sieger vom Mai, wird heiß gehandelt. Die große Unbekannte ist Kevin Mayer. Mit unglaublichen 8.834 Punkten war der Franzose 2016 Olympiazweiter hinter Eaton geworden. Allerdings kommt er mit Fragezeichen nach London: Er hat in diesem Jahr noch keinen Zehnkampf über die Bühne gebracht.

„Trotzdem muss man ihn auf der Rechnung haben. Er hat bei kleineren Wettbewerben in einzelnen Disziplinen mit Top-Leistungen aufhorchen lassen“, sagt Kühne. Und vom deutschen Konkurrenten Kai Kazmirek, dem Olympiavierten, sagt der Trainer: „Er und Rico haben in etwa das gleiche Niveau.“

Freimuth juckt das alles nicht. Er, der Mann „mit narzisstischen Zügen“, wie er weiß, achtet bewusst nur auf sich. „Da denke ich auch ganz asoziale Sachen, um den Körper in einen extremen Adrenalin-Zustand zu bringen“, sagt er. Nun muss er das Adrenalin nur noch in Leistung verdampfen. „Ich will der Beste der Welt sein.“ Es ist ihm zuzutrauen, dass er diesen Spruch schon in London in die Tat umsetzt.

(mz)