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Mit neuer Niere am Start Organspende: Mit Spenderorgan zu den Deutschen Meisterschaften

Von Alexander Schierholz 18.05.2017, 10:00
Bereit für den Wettkampf -  Andreas Mietz.
Bereit für den Wettkampf -  Andreas Mietz. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Der Anruf, der sein zweites Leben einläuten soll, kommt am Pfingstmontag früh um kurz nach fünf. Es ist schon hell, und eigentlich muss Andreas Mietz nachher zur Dialyse, Feiertag hin oder her. Doch die Stimme am Telefon sagt: „Wir haben ein Organ für sie.“ Stunden später wird Mietz, 48, im halleschen Uniklinikum eine neue Niere eingepflanzt.

Ein Jahr ist das her, und nun steht Andreas Mietz wieder vor einer Premiere. Am Wochenende wird der Mann aus Halle bei den Deutschen Meisterschaften der Transplantierten und Dialysepatienten in Leipzig teilnehmen. Rund 150 Sportler wollen sich in Leichtathletik, Tennis, Volleyball und anderen Sportarten messen.

Erster Sportwettkampf mit Spenderorgan steht bevor

Alle Teilnehmer haben eines gemeinsam: Sie leben mit einem neuen Organ - Herz, Leber, Lunge oder Niere. Oder sie warten auf eine neue Niere. So wie Andreas Mietz vor einem Jahr. Als er zu den Meisterschaften 2016 in Bremen antrat, war er noch ein Dialysepatient. Dreimal pro Woche musste er sich einer Blutwäsche an der Maschine unterziehen, weil seine Nieren den Dienst versagt hatten. Nun geht er mit einem Spenderorgan an den Start.

In Deutschland haben nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation im vergangenen Jahr 857 Menschen nach ihrem Tod Organe gespendet. Doch mehr als 10.000 Patienten stehen auf der Warteliste. In Sachsen-Anhalt sind es knapp 400, die eine neue Niere, eine neue Leber oder ein neues Herz benötigen.

Organspende: Patient muss zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt haben

Die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage ist nicht nur dem Transplantationsskandal vor fünf Jahren geschuldet, als die Vergabe von Organen manipuliert worden war. Transplantationsmediziner kritisieren auch seit langem die aus ihrer Sicht unzureichenden gesetzlichen Regelungen in Deutschland. Hierzulande gilt: Organe dürfen nur entnommen werden, wenn der Patient dem zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt und dies im Organspendeausweis so vermerkt hat. In vielen anderen Ländern ist es genau umgekehrt: Als Spender gilt, wer zu Lebzeiten nicht explizit widersprochen hat.

Das klingt zunächst nach keinem großen Unterschied, ist aber einer: Hat ein dem Tod geweihter Patient in Deutschland keinen Organspendeausweis, in dem sein Wille dokumentiert ist, müssen die Angehörigen entscheiden - in der Stunde des Todes kann das eine extrem belastende Situation sein. „Viele wissen nicht, was der Verstorbene gewollt hätte und lehnen es ab, dass Organe entnommen werden“, hatte erst kürzlich der hallesche Transplantations-Spezialist Paolo Fornara beklagt.

Andreas Mietz leidet an einer Erbkrankheit, der sogenannten Zystenniere. Dabei vergrößern sich die Nieren durch Zysten, die Folge ist Nierenversagen. „Ein schleichender Prozess“, sagt Mietz. Er lebt jahrelang gut mit der Erkrankung, doch vor einigen Jahren verschlechtern sich seine Werte zusehends. 2011 wird er mit einer schmerzhaften Nierenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert. Fortan muss er zur Dialyse. „Das war für mich keine Überraschung mehr“, sagt er.

Mit Blutgruppe 0 gilt man als sogenannter Universalspender

Als nach wenigen Wochen die rechte Niere entfernt werden muss, weil sie sich wiederholt entzündet hat, stellen die Ärzte im halleschen Uniklinikum ihm eine Frage: Wollen Sie auf die Warteliste für ein Spenderorgan? Mietz sagt ja. „Ich musste nicht lange überlegen.“

Fünf Jahre dauert es, bis eine passende Niere für ihn gefunden ist. „Ich hatte Glück“, sagt Mietz. Üblich sind sechs bis acht Jahre oder länger. Sein Vorteil: Er hat die Blutgruppe A. „Hätte ich Blutgruppe 0, hätte ich viel länger warten müssen.“ Spender mit der Blutgruppe 0 gelten als sogenannte Universalspender. Sie können ihre Organe auch an Empfänger mit anderen Blutgruppen weitergeben und sind deshalb erste Wahl bei Notfällen. Doch umgekehrt vertragen Empfänger mit der Blutgruppe 0 nur Organe von Spendern mit der identischen Blutgruppe. Deshalb müssen sie oft lange warten.

Freude über das neue Organ, aber auch Beklommenheit - der ersehnte Anruf am Pfingstmontag vor einem Jahr hat bei Andreas Mietz damals gemischte Gefühle ausgelöst. „Ich weiß, dass es nicht an mir liegt“, sagt er. „Aber als ich im Krankenhaus auf die neue Niere wartete, dachte ich: Da ist jetzt ein Mensch gestorben, und eine Familie trauert.“ Viele Transplantierte würden ähnlich denken, weiß er aus Gesprächen mit anderen Patienten.

Andreas Mietz wirkt durchtrainiert, er hat schon immer gerne Sport getrieben. Einmal pro Woche geht er schwimmen - 1.000 Meter Brust. Er fährt Fahrrad, „nach dem Lustprinzip“, wie er sagt. Zum Beispiel von Halle nach Leipzig, wo er aufgewachsen ist und noch heute seinem alten Verein Chemie Leipzig die Treue hält.

Teilnahme an den Deutschen Meisterschaften für Transplantierte

Während der Dialyse hört er vor wenigen Jahren erstmals von der „Radtour pro Organspende“: Menschen mit einem neuen Organ radeln quer durch Deutschland und werben quasi mit sich selbst für mehr Transplantationen. „Ohne Spende wären viele der Teilnehmer gar nicht mehr am Leben“, sagt Mietz. 2014 sitzt er selbst mit im Sattel. Eine Woche lang, von Marburg in Hessen bis nach Saarbrücken, 80 bis 100 Kilometer am Tag.

2015 nimmt er in Bruchsal (Baden-Württemberg) erstmals an den Deutschen Meisterschaften für Transplantierte teil, ein Jahr darauf ist er in Bremen am Start. Gefragt nach sportlichen Erfolgen, bleibt er bescheiden. „Ein paar Urkunden und Medaillen habe ich schon geholt“, sagt er nur. Aber eigentlich gehe es immer auch um den Spaß. Den will er am Wochenende auch in Leipzig haben. Auf ihn warten unter anderem Weitsprung, Kugelstoßen, 100 Meter Schwimmen und 20 Kilometer Radfahren.

Andreas Mietz: „Mir ist es wichtig, etwas zu tun zu haben“

Die Meisterschaften werden seit 1980 ausgetragen, organisiert vom Verein „Transdia Sport“. Das Kürzel steht für die Zielgruppe - Transplantierte und Dialysepatienten. Die simple Idee dahinter: Fitness durch Sport. Es sei ein Trugschluss, dass Menschen mit einem Spenderorgan keinen Sport treiben könnten, sagt Eberhard Schollmeyer von Transdia. Im Gegenteil: „Sport ist für Transplantierte genauso gut wie für jedermann“, etwa um problematischen Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Übergewicht vorzubeugen. Ohne Rücksprache mit dem Arzt geht allerdings nichts: Teilnehmer der Meisterschaften brauchen ein Attest.

Für Andreas Mietz ist der Sport auch eine willkommene Abwechslung im Alltag. Seine Arbeit als Betriebshandwerker im Druckhaus der Mitteldeutschen Zeitung muss der gelernte Elektroniker 2011 wegen seiner Erkrankung an den Nagel hängen. Mittlerweile erhält er Erwerbsminderungsrente.

Im Vergleich zu seinem Leben mit der regelmäßigen Blutwäsche, sagt Mietz, gehe es ihm heute sehr gut. Gerade kommt er von der monatlichen Untersuchung; in der rechten Armbeuge bedeckt ein Pflaster die Stelle, wo man ihm Blut abgenommen hat. Mittlerweile ist er so fit, dass er sechsmal pro Monat bei seinem alten Arbeitgeber aushilft, um die Rente aufzubessern. „Mir ist es wichtig, etwas zu tun zu haben.“  (mz)