Nebel gelichtet Nebel gelichtet: Bühnenbildnerin hat ein Buch über ihr Familienschicksal geschrieben

Halle (Saale) - Das Nachfragen ging stets ins Leere. Obwohl die Andeutung des Grauenvollen, das damals geschehen war, unverzügliche Rückfragen zu ermutigen schien. Aber nein, über Andeutungen ging es nie hinaus, der Rest war Schweigen in diesem Punkt - der Rest des Lebens gleich zweier Frauen. Sie stehen nun im Mittelpunkt eines Buchs, das die Ausstattungsleiterin des halleschen Puppentheaters, Angela Baumgart, geschrieben hat: Nicht zufällig, denn die Frauen sind ihre Mutter und ihre Großmutter.
Doch die Geschichte, die Baumgart erzählt, ist nicht zuletzt ihre eigene - die eines jener „Nebelkinder“, wie eine vergeblich im Nebel verschwiegener oder verdrängter Familiengeschichten herumirrende, spätere Nachkriegsgeneration der so genannten Babyboomer auch genannt wird. Angela Baumgart hat unter solchem Nebel, dem offenbar Unsagbaren in ihrer Familie gelitten: „In allem war dieser stille Vorwurf: ,Ihr habt das nicht erlebt, was wir erlebt haben’“, schreibt sie in ihrem kürzlich erschienen Buch „Ich war ein Nebelkind“, das für sie den Abschluss eines jahrelangen Ringens mit den Schatten der Vergangenheit bildet - eines Ringens, das den Nebel zumindest teilweise hat lichten können.
Bühnenbildnerin gehört in Halle zum Leitungsteam des erfolgreichen Puppentheaters
Die gebürtige Eisenacherin, die nach Ausbildungen zur Finanzkauffrau und Krankenschwester in Dresden Szenografie studierte und in Halle zum Leitungsteam des erfolgreichen Puppentheaters gehört, hatte gleich zwei Vertriebenengeschichten zu verarbeiten. Wobei die Schicksale der aus dem heute polnischen Teil Ostpreußens stammenden Familie väterlicherseits mit auch einigen Kriegs- und Nachkriegsopfern nicht im Vordergrund stehen.
Denn einschneidender für die Autorin waren die Erfahrungen mit Mutter und Großmutter, die als 18-jähriges Mädchen und Frau über 40 auf einer zweijährigen Odyssee in Schlesien ein Martyrium nicht zuletzt aus Vergewaltigungen erlebten - wie sich aus Baumgarts Recherchen bei Überlebenden aus der Heimat der einst gut situierten Bauernfamilie zweifelsfrei ergeben hat.
Angela Baumgart hilft nun womöglich anderen dabei, ihren Nebel zu lichten
Klar geworden ist Angela Baumgart bei alldem auch ein Hintergrund für ihren - längst erfüllten - Berufswunsch. Es habe sie schon früh zu den großen Dramen des Theaters hingezogen, wohl, weil sie sich in ihnen insgeheim auch Parallelen, Hinweise und Hilfe mit Blick aufs eigene Familiendrama versprochen habe.
Und nun? Hilft Angela Baumgart womöglich anderen dabei, ihren Nebel zu lichten, indem sie mit Bühnenbildern und Kostümen den großen Dramen und ihren Figuren Raum und Gestalt gibt - und wenn man so will, damit ein Stück Heimat auf Zeit.
››Angela Baumgart, „Ich war ein Nebelkind“, Verlag Twentysix (BoD) Preis: 11,99 Euro. Buchpremiere im Herbst im Literaturhaus. (mz)