Naturschutz Naturschutz in Halle: Wohin mit Eidechsen, die vor Baustellen weichen müssen?

Halle (Saale) - Wie Pyramiden ragen die Steinhaufen aus den Feldern an der Europachaussee. Doch mit okkulten Grabstätten haben sie wenig zutun. Es sind Habitate für Zauneidechsen, die an anderen Orten wegen Baumaßnahmen verdrängt wurden und deshalb ein neues zu Hause brauchen. So regelt es das Naturschutzgesetz.
Für die Investoren bedeutet dies einen hohen finanziellen Aufwand. Insgesamt gibt es in Halle fünf solcher Eidechsen-Asyle. Drei davon gehören der Stadt, etwa als Ausgleich für die Osttangente. Zwei wurden von Unternehmen angelegt. So wie das an der Innenkippe des Hufeisensees, das der Investor von Halles erstem Golfplatz, Norbert Labuschke, bauen ließ.
„Die Zauneidechse ist streng geschützt, damit sind Tötungsverbot, Verbot der Zerstörung der Fortpflanzungs- und Ruhestätten sowie ein Störungsverbot zu beachten“, erklärt Biologe Gerry Kley, der mit seiner Firma Biancon solche Habitate betreut. Kurzum: Zauneidechsen gelten als wertvolle heimische Reptilien. Darauf weisen auch die kleine Schilder hin, die den Lebensraum abgrenzen. Ganze 35 Tiere sind im vorigen Jahr umgesiedelt worden, 2016 geht Kley von der selben Zahl aus. Für Golfplatz-Bauer Labuschke sind die Kosten nicht unerheblich, obwohl er keine genauen Summen für das 3.500 Quadratmeter große Areal nennen möchte. „Mit so etwas muss man als Bauherr rechnen, aber es ist mit mehreren Zehntausend Euro natürlich ein Schlag ins Kontor“, sagt er.
Die Stadt kosten die drei Habitate an der Torgauer Straße, nördlich der Bundesstraße 100 und an beiden Seiten der Europachaussee (siehe Grafik) etwa 285.000 Euro. Dabei hat sie die Aufgabe, den Lebensraum so lange zu sichern, „bis die Population in den neuen Habitaten sich selbst erhalten kann und ein natürlicher Austausch mit vorhandenen beziehungsweise noch zu schaffenden geeigneten Verbindungsstrukturen stattfindet“, erklärt Stadtsprecher Drago Bock.
Ihre Zauneidechsen sind auch der Deutschen Bahn lieb und teuer. Zur 700 Millionen Euro teuren Modernisierung des Eisenbahnknotens gehört unter anderem auch der Reptilienschutz. Bereits 2013 wurde auf dem Baufeld des künftigen Güterbahnhofs an der Berliner Brücke eigens ein 10.000 Quadratmeter großes Eidechsen-Asyl eingezäunt - und dort genau 128 Tiere ausgesetzt, die auf dem alten Güterbahnhofsgelände in Eimern gefangen worden waren.
Die Aktion kostete rund 200.000 Euro. Ein echter Erfolg: Die Reptilien, die zu den geschotterten Güterbahnhöfen der Republik gehören wie Gleise, vermehrten sich im geschützten Raum derart, dass sie sogar gefüttert werden mussten! Im vergangenen Jahr wurden rund 1.000 Tiere eingesammelt und auf zwei neue, im Zuge des Eisenbahnknotenausbaus angelegte Habitate an der Kasseler Straße ausgesetzt. Wenn der Güterbahnhof 2018 fertig ist, geht es für viele Tiere wieder zurück.
Obwohl sich die kleinen Schuttberge etwa im neuen Habitat am Hufeisensee befremdlich ausnehmen, sind sie für die Reptilien etwa als ideale Winterquartiere durchdacht angelegt. Genau so wie Haufen aus Holz und Ästen. Für die Eiablage und zum Sonnen sollte es offene Sandflächen geben. Damit die umgesiedelten Echsen nicht sofort wieder in ihre angestammten Reviere abwandern, müssen sie kurzzeitig eingesperrt werden. „Mit einem Folienzaun zum Beispiel“, so Gerry Kley. Weil die Zauneidechse ihr Revier selten freiwillig verlässt, wird nachgeholfen. Dabei unterscheiden die Biologen zwischen Absammeln und Vergrämen. Bei ersterem habe sich eine Mischung aus drei Methoden bewährt, so Kley. Helfer sammeln die Tiere mit der Hand ein, vergraben Eimer als Fallen oder bringen Reptilienbretter aus, unter denen die Eidechsen Unterschlumpf finden und so leichter gefangen werden können. Das kann bis zu zwei Jahre dauern, da auf den Zauneidechsen-Aktivitätszyklus von April bis September geachtet wird. In den kalten Monaten halten sie Winterruhe. Sind die Echsen umgesiedelt, folgt eine fünfjährige Auswertung. „In unseren bisherigen Projekten konnten wir positive Erfahrungen sammeln“, sagt Kley.
Dass die Zauneidechse in Halle und im südlichen Sachsen-Anhalt so verbreitet ist, hat laut dem Biologen mit der Landschaft zutun. „Als ursprünglicher Steppenbewohner hat sich die Zauneidechse optimal in die anthropogen überformte Kulturlandschaft Mitteldeutschlands eingepasst“, sagt er. Sie tauche aber auch in der kompletten Bundesrepublik auf und zähle zu den häufigsten Reptilienarten. (mz)
