Nasreddin-Brunnen in Neustadt Nasreddin-Brunnen in Neustadt: Spaßvogel musste umziehen

Halle (Saale)/MZ - Wer den Namen Bernd Göbel hört, der denkt sofort an den Brunnen, den der Bildhauer 1998 auf dem Hallmarkt geschaffen hat. Dabei ist der Hodscha-Nasreddin-Brunnen am Neustadt-Zentrum mindestens genau so interessant - und stammt ebenfalls aus der Werkstatt von Göbel. „Es war eines meiner ersten Werke in Halle“, sagt der 71-Jährige.
Als er den Brunnen 1980 an seinem ursprünglichen Standort im Neustädter Kinderdorf errichtete, hätte es eigentlich ein klares Nein der DDR-Oberen geben müssen: Denn die Figur des Hodscha Nasreddin ist quasi das türkische Pendant zum deutschen Eulenspiegel. Von oben auf einer Säule schaut der Spaßvogel und Kritiker Nasreddin auf drei unangenehme und mächtige Gestalten herab. Da ist der dicke Emir, der auf einem Untertan sitzt. Der Polizeichef, der Menschen einsperrt. Und der Wucherer, der seinen Schuldnern einfach Schaf, Schwein und Huhn wegnimmt. Ein klarer Affront gegen die Macht.
Keine offene Kritik am System
Dennoch durfte Göbel den Brunnen bauen - offiziell als Märchenbrunnen. Vielleicht aber auch, weil es keine offene Kritik am System war, vielleicht, weil es auch 1980 kluge Menschen gab, die das System als pervertiert empfunden haben, meint Göbel. „Jedenfalls ist das Thema heute noch so aktuell wie damals“, sagt er, „die Macht ist in der Hand von wenigen“.
Aber es gibt einen Gegenpol: die Geliebte Nasreddins, Gültschan, als vierte Figur, die weit weniger aufgeplustert daher kommt. Sie reitet auf einem bescheidenen Esel zu ihrem Liebhaber. Das Gültschan immer noch auf ihrem Esel reitet, ist eigentlich ein Glücksfall. Denn schon wenige Jahre, nachdem der Brunnen am Kinderdorf aufgestellt worden war, bröckelte er. „Der Travertinstein war damals sehr knapp, deswegen wurde der Brunnen aus Beton gebaut und mit Platten ummantelt“, erklärt Göbel. Doch der Frost löste die Platten, die dann Stück für Stück von Kleingärtnern in der Anlage in der Nähe wiederzufinden waren. Kurz vor der Wende war der Brunnen unansehnlich geworden und die Figuren wurden abgebaut und eingelagert. Um dann kurz nach der Wende wieder auf dem Areal neben dem Neustadt-Center neu aufgebaut zu werden. Diesmal mit massivem Travertinstein.
So ganz zufrieden wird Göbel wohl erst in diesem Sommer mit dem neuen Platz sein: Dann sind die Bäume, die das Areal umsäumen, so groß gewachsen, dass sie einen geschlossenen Ring bilden. „Dann entsteht hier ein romantischer Platz“, freut sich der Künstler schon jetzt.
Aber es ist auch ein Platz, an dem man seine Gedanken schweifen lassen kann. Denn ähnlich wie am Hallmarkt hat er für den neuen Standort Bodenplatten aus Bronze gegossen, die die Zu- und Abläufe der Brunnen abdecken. Eine ist der Wiedervereinigung - oder aber der Begegnung von Deutschen aus Ost und West gewidmet. In dem Goethe-Zitat aus dem Jahr 1828 heißt es: „Mir ist nicht bang, dass Deutschland nicht eins werde, vor allem aber sei es eins in Liebe untereinander.“ Auf einer zweiten Platte gibt es ein kleines Suchspiel. Zitate und Weisheiten sind in zwei Teile, in unterschiedlichen Ausrichtungen und in verschiedenen Schriftarten zerschnitten. Wer sucht, der findet Sprüche wie „Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd.“
Nasreddin werden Hunderte Anekdoten zugerechnet
Nasreddin werden Hunderte Anekdoten zugerechnet. Welche ist Bernd Göbel die liebste? Da muss er nicht lange nachdenken: Im Islam gibt es die Vorstellung, dass man kurz vor seinem Tod von zwei Mächten befragt wird, ob man in seinem Leben gelogen hat. Nasreddin bestand aber darauf, in einem alten und nicht in einem neuen Grab beerdigt zu werden. Seine Begründung: „Dann kann ich diesen Mächten sagen: Schert euch fort, ihr seht doch, dass ich längst tot und überprüft worden bin“, erzählt Göbel die Anekdote. Also: Der Nasreddin-Brunnen ist genauso spannend wie der Göbelbrunnen.
Der Nasreddin-Brunnen in Neustadt sprudelt ab dem 21. April.
