Moritzburg Halle Moritzburg Halle: Schrecken und Schönheit
Halle (Saale)/MZ. - Natürlich verlangt es Überwindung, sich diesen Leibern zu nähern. Geschunden sehen sie aus, zerschlagen und amputiert bis zur Unkenntlichkeit. Die Stoffbahnen, auf die sie gebettet wurden, sind fleckig und grau - und betonen so die blauen und roten Stellen, die unter der wächsern bleichen Haut hervorschimmern. Man kämpft mit dem Entsetzen - und spürt doch zugleich die seltsame Faszination, die von solchen Skulpturen ausgeht.
Zwischen Cranach und Pasolini
Die Ausstellung, die das Landeskunstmuseum Moritzburg in Halle ab Samstag unter dem Titel "Mysterium Leib" zeigt, hat bereits im Vorfeld für ein mediales Beben gesorgt. Denn jene fünf großen Arbeiten der flämischen Künstlerin Berlinde De Bruyckere, die hier in den Kontext eines "Schmerzensmann"-Gemäldes von Lucas Cranach dem Älteren und des Filmes " Il Vangelo secondo Matteo" von Pier Paolo Pasolini gestellt werden, appellieren unmittelbar an die Empathie des Betrachters. Wer angesichts des arm- und kopflosen Paares "Into - One another" oder des abgetrennten "Detail", des ausgeweideten Hirsches und des nackten "Romeu" unberührt bleibt, muss eine taube Seele sein eigen nennen.
Doch die Auseinandersetzung mit dem Tabu steht hier eben gerade nicht in der Tradition der spektakulären "Körperwelten"-Ausstellungen des Gunther von Hagens, die mit dem Wissen des Betrachters um die Authentizität der Plastinate spielen. De Bruyckere zitiert vielmehr ikonografische Traditionen und bedient sich alter gestalterischer Techniken: Die Arbeit mit dem eingefärbten Epoxidharz verweist auf die Moulagen, mit denen seit dem 18. Jahrhundert medizinische Modelle hergestellt wurden - Wachsabformungen von einzelnen Organen oder ganzen Körpern, die krankhafte Veränderungen für Lehre und Forschung fixierten.
Auch der gehäutete "Schmerzensmann", der über eine Säule gestülpt worden ist, erinnert an historische Vorbilder - etwa an das berühmte Anatomie-Lehrbuch "De humani corporis fabrica" des Andreas Vesalius, das 1542 Bildtafeln von menschlichen Körpern in dramatischen Posen präsentierte und längst in den Kanon der Kunstgeschichte Eingang gefunden hat.
Und durch die Korrespondenz zu Cranachs Christus-Gemälde, das fast zeitgleich zum Werk von Vesalius entstand, wird das Interesse der Künstlerin am Transzendenten erkennbar: Der gequälte Körper des Menschensohnes, der seine Wunden in der Seite und in den Händen zur Beglaubigung seiner Passion vorzeigt, verweist auf das Leiden der sterblichen Kreatur an der Welt. Und dies tun auch die Figuren von Berlinde De Bruyckere.
Der zweite kunsthistorische Verweis - Pasolinis mit Laien gedrehte Verfilmung des Matthäus-Evangeliums - vertieft diese im ursprünglichen Sinne des Wortes pathetische Position. Das Aushalten einer Leidensgeschichte und die Annahme ihrer Heilsbotschaft, wie Pasolini es in schlichter Menschlichkeit auf die Leinwand bringt, hat De Bruyckere in einer streng katholischen Erziehung gelernt. Dass ihre eigenen Arbeiten durchaus Zweifel an dieser Dialektik zeigen, aber neben Qual auch Erlösung assoziieren, zeigt ihre ganz eigene Haltung am Ende der Ahnengalerie.
Diese unterscheidet sie auch vom Superstar Damien Hirst, an den der künstliche Hirsch-Kadaver unwillkürlich erinnert - und der bei seinen Formalin-Präparaten von zerschnittenen Tieren doch eher mit dem Schock der Echtheit spielt. Bei Berlinde De Bruyckere schafft die Abformung des Leibes auch eine Distanz und Überhöhung, der konkrete Körper wird als Werk angeeignet und abstrahiert. Dennoch verlieren die Skulpturen, die in der halleschen Moritzburg um eine leere Mitte gruppiert sind, nichts von ihrer aus Schrecken und Schönheit gespeisten Wirkung.
Von internationalem Rang
Sachsen-Anhalts Landeskunstmuseum, dessen Sonderausstellungsprogramm zuletzt eher regionale Relevanz behauptete, eröffnet nun erstmals in Deutschland den monografischen Blick auf diese Künstlerin von internationalem Rang. Dass die von der Kulturstiftung des Bundes, den Flämischen Behörden und der Lotto-Gesellschaft Sachsen-Anhalt geförderte Schau auch überregional Begehrlichkeiten weckt, zeigt ihre Buchung für die Kunsthalle Wien im kommenden Jahr.
Wer freilich ratlos vor den Körpern steht, wird die reichen kunsthistorischen Bezüge von mittelalterlichen Schmerzensmännern bis zum Beuysschen Appell "Zeige deine Wunde" zumindest teilweise in dem hervorragend ausgestatteten, im Hirmer-Verlag erschienenen Katalog finden - in einer von der Künstlerin arrangierten Bildstrecke ebenso wie in ihrem Gespräch mit Kuratorin Cornelia Wieg.
Eröffnung am Samstag, 14 Uhr; Künstlergespräch am Sonntag, 15 Uhr; Ausstellung bis zum 3. Juli, Di-So 10-18 Uhr