1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. Angebot von Landwirt Karsten Scheffler : Milchtankstelle im E-Center: Tanken auf dem BauernhofMilchtankstelle

Angebot von Landwirt Karsten Scheffler  Milchtankstelle im E-Center: Tanken auf dem BauernhofMilchtankstelle

Von Steffen Höhne 15.08.2016, 06:45
Der Hallenser Lothar Müller zapft seine Milch am Automaten.
Der Hallenser Lothar Müller zapft seine Milch am Automaten. Andreas Stedtler

Bösenburg - Es geht alles ganz einfach: Lothar Müller nimmt die Glasflasche aus dem Schrank. Dann öffnet er die kleine Edelstahltür am Automaten und wirft einen Euro ein. Die Flasche kommt unter den Hahn, ein Knopfdruck und die Milch fließt. Der Hallenser ist begeistert: „Ich habe zum ersten Mal Milch selbst gezapft.“ Hinter ihm steht bereits der nächste Kunde.

Automat im halleschen Supermarkt

Die Milchtankstelle im halleschen E-Center auf dem Hermes-Areal gehört Karsten Scheffler. Der Landwirt aus dem Dorf Bösenburg im Landkreis Mansfeld-Südharz bewirtschaftet 250 Hektar Acker und hat 85 Kühe. Seit einigen Wochen vermarktet der 42-Jährige einen Teil seiner Milch selbst.

Anfang Juni baute er einen Automaten im Obsthof in Aseleben auf, zwei weitere stehen in den Edeka-Centern Hermes und Mafa in Halle. Ein vierter wurde bereits im Globus-Markt in Halle-Bruckdorf aufgebaut. „Für diesen fehlt mir aktuell aber die Milch“, sagt Scheffler. Der Bauer ist vom großen Zuspruch der Kunden überrascht worden. „Die Leute schreiben Mails, dass sie mich als regionalen Betrieb unterstützen wollen oder ihnen die frische Milch einfach besser schmeckt als die aus dem Tetra-Pak.“

100.000 Euro investiert

Schefflers Hof schaut teilweise so aus, wie Landwirtschaft im Kinderbuch aussieht: Hinter einer großen Toreinfahrt stehen auf einem Hof drei Trecker und ein Mähdrescher. Davor parken kleine Plastiktraktoren, die seine Kinder nach dem Spielen dort stehen gelassen haben. Daran schließt sich ein offener Kuhstall an. Die Rinder stehen auf weichem Stroh, jeden Tag wird während des Melkens ausgemistet. Eine Katze streunt über den Platz.

Mit Idylle lassen sich keine Rechnungen bezahlen

Doch mit Idylle lassen sich keine Rechnungen bezahlen. Durch die seit Monaten anhaltende Talfahrt der Milchpreise rutschte auch Schefflers Produktion in die roten Zahlen. Er beantragte bei einer Bank ein Liquiditätsdarlehen. „Doch das war keine langfristige Lösung“, so der Landwirt. Ende 2015 stand für ihn die Frage: Die Milch-Herstellung aufgeben oder neue Absatzmärkte suchen. Der technikbegeisterte Landwirt entschied sich für den zweiten Weg. „Produkte selbst zu vermarkten, das hat mich schon immer fasziniert“, sagt er. Die von mehreren Anlagenbauern angebotenen Automaten machen das bei der Milch möglich. Zunächst sprach Scheffler mit Berufskollegen, die ihre Milch schon selbst verkaufen und er prüfte die Finanzierung.

Scheffler kaufte vier Automaten

Dann wagte er den Schritt: Scheffler kaufte vier Automaten, ein Kühlfahrzeug sowie ein Pasteurgerät. Kosten: etwa 100.000 Euro. Zudem stellte er zwei neue Mitarbeiter ein. Ein Risiko. Scheffler erzählt, wie einige Banken bei der Finanzierung zunächst abwinkten. Eine Tochter der Sparkasse gewährte ihm dann jedoch innerhalb weniger Tage unkompliziert das Darlehen. Überrascht hatte ihn auch die Offenheit des Handels: „An einem Mittwoch hatte ich das erste Gespräch mit einer Edeka-Managerin. Eine Woche später waren wir uns in allen wesentlichen Fragen einig.“

Konkurrenz ins eigene Geschäft?

Doch warum holt sich Edeka die Konkurrenz in das eigene Geschäft? Zum einen hofft der Handelskonzern offenbar, durch die Unterstützung von regionalen Erzeugern sein Image zu pflegen und vielleicht sogar neue Kunden zu gewinnen. Zum anderen sind die Automaten noch nicht so verbreitet, dass sie zu merklichen Absatzverlusten führen könnten. Das Unternehmen will sich derzeit noch nicht äußern, kündigt für Anfang September jedoch eine größere Veranstaltung zu dem Thema an.

Auf Schefflers Hof wird zweimal am Tag gemolken. Das erste Melken findet von sieben bis neun Uhr statt. Die Kühe gehen in einen kleinen Melkstall, in dem maximal zehn Tiere gleichzeitig ihr Euter leeren können. Die Milch landet in großen Edelstahltanks. Von hier wurde sie durch eine Molkerei abgeholt. Seit Juni verarbeitet Scheffler nun einen Teil selbst. Um sie verkaufen zu können, muss die Rohmilch kurzzeitig auf über 70 Grad Celsius erhitzt werden. Das sogenannte Pasteurisieren ist nötig, um Keime abzutöten. Auf ein Homogenisieren wird allerdings verzichtet. So bildet die Milch nach einiger Zeit Rahm. „Manche Kunden lieben dies und streichen sich den Rahm auf das Brot. Andere schütteln ihn einfach weg.“ Jeden Morgen werden die Automaten mit frischer Milch aufgefüllt. Restmilch verfüttert Scheffler an seine Tiere. 800 bis 900 Liter Milch setzt er so täglich direkt ab. Den Großteil der Menge verkauft er derzeit weiter an eine Molkerei, dazu gebe es feste Verträge. „Aus diesem Grund kann der große Automat im Globus-Markt auch noch nicht in Betrieb gehen“, berichtet der Bauer.

Deutscher Bauernverband begrüßt Direktvermarktung

Doch was passiert, wenn die Neugier der Kunden befriedigt ist - trägt das Konzept auch langfristig? Thomas Rößner, Vorstand der Agrarprodukte Kitzen AG, ist davon überzeugt. Der sächsische Betrieb betreibt seit vergangenem Jahr eine Milchtankstelle in Leipzig. „Wir setzen so täglich 470 Liter ab.“ Es gebe ganz offensichtlich einen treuen Kundenstamm.

Der Deutsche Bauernverband begrüßt, dass immer mehr Landwirte auf die Direktvermarktung setzen. „Bei Preisen von einem Euro je Liter lassen sich trotz zusätzlicher Kosten wie Milch-Transport und Wartung der Automaten ganz andere Gewinnspannen erzielen“, sagt Verbandssprecher Michael Lohse. Die Molkereien würden derzeit kaum mehr als 20 Cent für den Liter zahlen. Das Modell befriedigt den Wunsch vieler Verbraucher, Produkte aus der Region zu erwerben. „Dafür geben sie auch mehr Geld aus“, so Lohse. Es gehe um Identifikation und Verbundenheit mit dem Erzeuger und dem Produkt. Gleichwohl weist Lohse darauf hin, dass über Milch-Automaten nur ein vergleichsweise kleiner Teil der gesamten Milch verkauft werden kann. „Es ist eine lukrative Nische.“ Der Hauptteil der Milchmenge werde zu Käse, Butter, Joghurt und andere Milchprodukte verarbeitet. Dazu seien nur die Molkereien in größerem Stil in der Lage.

Mehr Unabhängigkeit

Scheffler bereut den Schritt bisher nicht: „Ich habe viel Geld und Arbeit in die neue Direktvermarktung gesteckt.“ Dafür könne er nun aber wieder ein Stück weit selbst über sein Auskommen bestimmen. Der Landwirt rechnet nicht damit, dass die Molkereien bald wieder auskömmliche Preise zahlen werden. Anderswo auf der Welt lasse sich Milch günstiger produzieren. Von diesem Weltmarkt möchte Scheffler nicht mehr so stark abhängig sein: „Ich mache hier lieber mein eigenes kleines Ding.“ (mz)

Bei Landwirt Karsten Scheffler werden von 7 bis 9 Uhr die 85 Kühe des Hofes gemolken.
Bei Landwirt Karsten Scheffler werden von 7 bis 9 Uhr die 85 Kühe des Hofes gemolken.
Andreas Stedler