Matthias Fahrig spricht über seine Karriere Matthias Fahrig spricht über seine Karriere: Halles Turn-Ass ritt ab

Halle (Saale) - Zu Fuß kommt Matthias Fahrig angestapft. Statt mit dem Wagen vorzufahren. Oder die Bahn zu nutzen, was sich anbieten würde. Denn sein Gesprächstermin ist in einem Café etwas außerhalb der Innenstadt direkt an einer Haltestelle. „Passt schon“, sagt der Hallenser lachend, „ich laufe gern“.
Und weil er weiß, welche Frage nun kommen wird, greift er dieser gleich vor. „Nein, ich habe immer noch keine Fahrerlaubnis“, stellt der 32-Jährige klar. Warum auch? „Ich komme doch auch so überall hin.“ Ein Auto als Fortbewegungsmittel braucht er nicht. Vielleicht auch, weil es zu viel kostet? Das Mienenspiel des Turners zeigt, wie er über Geld denkt.
Fahrig definiert Luxus anders, als es wahrscheinlich die meisten tun. Und damit hat er auch schon sein erstes Thema. „Was nützt es, Geld zu haben, um sich den besten Trainer leisten zu können und dafür fehlt dir das Talent?“ Bei vielen wichtigen Dingen im Leben, findet er, hilft Geld einem ohnehin nicht weiter.
Matthias Fahrig: Am Sprung besser als Nick Klessing
Seine ersten Turnelemente hatte Matthias Fahrig in Wittenberg als Achtjähriger erlernt. 1994 kam er an die Sportschule nach Halle. Zehn Jahre später qualifizierte er sich mit der deutsche Mannschaft für die Olympischen Spiele in Athen und belegte dort Platz acht. Es sollten allerdings seine einzigen Olympischen Spiele bleiben. Mit dem deutschen Team erkämpfte er sechs Jahre später EM-Gold sowie den Titel am Boden. Dazu kam Silber am Sprung. Insgesamt holte Fahrig sechs EM- und zwei WM-Medaillen.
Fahrig kreierte zudem ein eigenes Element, zeigte 2010 auf der Bodenmatte als Erster einen sogenannten Doppeltwist gebückt mit anderthalb Schrauben.
Halles Turn-Ass ist an einem Punkt in seiner leistungssportlichen Karriere angekommen, an dem er weiß, dass Steigerungen nicht mehr möglich sind. Beim Landesturntag ist er gerade offiziell verabschiedet worden. Was er jetzt noch macht, ist für ihn Zugabe.
In der Bundesliga zum Beispiel hat er erst letzten Samstag als Gaststarter für den Siegerländer KV brilliert. Am seinem Spezialgerät Sprung bekam er mit 13,90 Punkten eine höhere Wertung als Nick Klessing (13,35). Der gerade von der WM zurückgekehrte SV-Kollege steht in Diensten des KTV Obere Lahn, dem letzten Gegner der Siegerländer Fahrig-Riege.
Das Kapitel Nationalmannschaft hat der Routinier abgeschlossen. Für die letzten Welt- und Europameisterschaften war der sprunggewaltige Hallenser schon nicht mal mehr ein ernsthafter Kandidat in den Augen des Chefbundestrainers Andreas Hirsch. Das Verhältnis der beiden war nie das einfachste. Wegen Undiszipliniertheiten hatte Hirsch das begnadete Turntalent sogar zwischenzeitlich zweimal aus seinem Auswahlkader verbannt.
Fahrig und seine Kapriolen: „Ich liebe nun einmal das Leben“
Seine Kapriolen, die gehörten für Fahrig damals einfach dazu. „Ich liebe nun einmal das Leben“, sagt der Turner. Und weil er ehrlich gewesen sei und zugegeben hatte: „Ja, ich war feiern“, und „Ja, ich war in der Disco“, sei ihm das auf die Füße gefallen. „Aber das gehört doch zum Leben.“
Trotzdem bleibt die Frage: Hat Fahrig zu wenig aus seinen Möglichkeiten gemacht? „Sportlich“, findet der stets gut gelaunte Hans-Dampf, „würde ich alles wieder ganz genauso machen“. Fast trotzig fügt er an: „Ich bin wahnsinnig stolz auf das, was ich erreicht habe.“ Zu Hause bewahrt der zweifache Europameister von 2010 in Vitrinen und Regalen - gut sichtbar für Gäste - all seine Trophäen auf.
Dass er aus einfachen Verhältnissen stammt, daraus macht der gebürtige Wittenberger keinen Hehl. Seinen Vater, einen wieder nach Kuba zurückgeschickten ehemaligen DDR-Gastarbeiter, kennt er nur aus Erzählungen. „Ich habe keine Familie, die mir den Arsch gepudert hat.“
Fahrig arbeitet inzwischen selbst als Trainer
Und dann plaudert Fahrig über seine gar nicht so einfache Anfangszeit am Internat. Als einziger farbiger Sportler, dazu noch ein zarter Turner, hat ihm nur eine große Klappe geholfen - und der richtige Freundeskreis. „Vor allem die starken Leichtathleten.“
Die Trainer waren ebenfalls wichtige Bezugspersonen. Sie haben ihm damals auch versucht beizubringen, das Zimmer aufzuräumen oder pünktlich in der Halle zu erscheinen. Fahrig weiß: Sie haben ihn geprägt, nicht nur sportlich. „Als ich klein war, habe ich vieles als selbstverständlich hingenommen. Heute weiß ich, was alles dahinter steckt“, leistet er Abbitte.
Mittlerweile arbeitet er selbst als Trainer, vertritt erst einmal bis nächsten Sommer Conny Schütz, die ein Baby erwartet. Seine Schützlinge sind Halles hoffnungsvollste Turnerinnen. Die Arbeit macht dem gelernten Sport- und Fitnesskaufmann, der während und nach seiner Zeit in der Sportkompanie die Trainer-Lizenzen erworben hat, großen Spaß. Dazu kommt seine Erfahrung. Wer nicht selbst einmal auf hohem Niveau geturnt hat, findet Fahrig, der kann sich nur schwer in die Lage seiner Schützlinge versetzen.
Zwei von den Seinen haben am Samstag die Chance, sich als Kadersportler zu empfehlen. Und deshalb macht Fahrig sich gleich auf in die Turnhalle zur nächsten Trainingseinheit mit Timea und Jolina. Natürlich zu Fuß.
(mz)
