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Konspirative Wohnungen in Halle Konspirative Wohnungen in Halle: Hier fanden geheime Stasi-Treffen statt

Von Silvia ZÖLLEr 21.03.2015, 08:22
Im Hochhaus Am Bruchsee, dem ehemaligen Block 002, war eine konspirative Wohnung.
Im Hochhaus Am Bruchsee, dem ehemaligen Block 002, war eine konspirative Wohnung. Günter Bauer Lizenz

Halle (Saale) - Der 37-jährige Mann von der Silberhöhe war für die Stasi der perfekte Kandidat: Als Seemann nutzte er seine Wohnung oft drei Monate nicht wegen seines Dienstes auf dem Hochseefischereiboot. „Parteilos, geschieden, aber positive politische Einstellung. Die Wohnung ist günstig mit Nahverkehrsmitteln zu erreichen“, notierte die Stasi in ihren Akten. Am 1. Februar 1985 sucht ein Offizier der Staatssicherheit den Mann auf, wenig später unterschreibt dieser eine Verpflichtungserklärung. Fortan war die Einraumwohnung auf der Silberhöhe eine von - Stand 1988 - 192 konspirativen Wohnungen und Objekten in Halle.

Die Stasi nutzte diese Wohnungen - in Abwesenheit der Mieter - für geheime Treffen der Führungsoffiziere mit inoffiziellen Mitarbeitern (IM) - alles sollte diskret über die Bühne laufen, diskreter als bei einem Treffen in den Büros des Ministeriums. Vor allem Wohnungen in Hochhäusern waren wegen des stärkeren Publikumsverkehrs, der für Anonymität sorgte, begehrt. Eine umfangreiche geheime Verschlusssache inklusive Richtlinie regelte das Prozedere. Doch das Studium der Akten, die in der Stasi-Unterlagenbehörde einzusehen sind, zeigte, dass vieles anders lief als von der Stasi geplant.

Schlampigkeit bei der Geheimhaltung war an der Tagesordnung - etwa durch verräterische Jahresabbuchungen der Miete für leere Wohnungen, die von der Stasi zusätzlich als Treffpunkt angemietet wurden. Oder weil die Hausordnung nicht gemacht wurde. Oder weil stadtbekannt war, dass in dem Haus Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit wohnten.

Zu den konspirativen Wohnungen gehörten nicht nur blumige Decknamen wie „Kamin“, „Theater“ oder „Maikäfer“, sondern auch sogenannte Legenden. Sie wurden im Haus gestreut und erklärten, warum die Wohnungen von sehr unterschiedlichen Menschen genutzt wurden. So lautete eine „Legende“ für ein Zimmer in einer Wohnung, die eine Staatsanwältin am heutigen Riebeckplatz zur Verfügung stellte, dass der Stasi-Mann Sohn einer Bekannten sei, der in Halle ein Fernstudium absolviert. In der Wohnung träfe er sich zu Konsultationen mit Studienkollegen.

Rund 120 leere Wohnungen wurden in Halle extra von der Stasi angemietet und komplett ausgestattet - mit Bett, Sofa und allem, was man zum Leben braucht. Ein Bericht von 1988 listet auf, dass hierfür 580 000 Mark an Ausstattungskosten und 500 000 Mark an laufenden Kosten aufgelaufen sind, insgesamt über eine Million DDR-Mark. In welchem Zeitraum, ist unklar.

Nicht immer hatte die Stasi im Blick, was in den konspirativen Wohnungen genau los ist. Nach einem Hinweis „Diese Wohnung ist entweder ein Assi-Treff oder von der Staatssicherheit“ gab es eine Kontrolle in der konspirativen Wohnung „Meteor“. Die Räume waren baufällig, Putz fiel von der Decke, alles war dreckig. 80 leere Schnapsflaschen lagen rum. Sie wurde sofort geräumt.

Wer den Film „Das Leben der Anderen“ gesehen hat, erinnert sich an die Szene: Der Stasi-Mann Gerd Wiesler verwanzt die Wohnung des Schriftstellers Georg Dreymann und richtet auf dem Dachboden eine Abhörstation ein. Das war in Halle keine Fiktion, sondern Wirklichkeit. Auf einem ausgebauten Dachboden eines Punkthochhauses gab es den konspirativen Treff „Antenne“.

Zahllose Akten gibt es zum Thema KW/KO. KW steht für konspirative Wohnungen, KO nicht für den Knock-out, sondern für konspirative Objekte. So wurden die Wohnungen im Stasi-Sprech genannt, die als Wohnungen ohne Mieter mit „Legenden“ gedeckt wurden. IMK/KO verwalteten diese: Sie waren „Inoffizieller Mitarbeiter zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens/Konspiratives Objekt“.

Zur Beobachtung und Absicherung des Militärverkehrs von und zur damaligen russischen Kaserne in Heide-Süd wurde im ehemaligen Block 002 in Neustadt, heute Am Bruchsee 12, ein konspiratives Objekt eingerichtet. Doch die Stasi hatte Sorge, dass die Deckung aufflog. Der Grund: Der Stasi-Mitarbeiter arbeitete unter dem fiktiven Namen „Fischer“. Mehr Deckung versprach man sich davon, dass ein anderer Spitzel unter seinem echten Namen eingesetzt wird. (szö)

Ebenso nahmen es die Führungsoffiziere mit ihren Aufgaben ganz offensichtlich nicht so ernst und versüßten sich den Alltag in den konspirativen Wohnungen: Wöchentliche Rechnungen mit dreistelligen Summen für Weinbrand, Zigaretten, Wein und Kaffee zahlte die Stasi anstandslos. Allenfalls die Einreichung einer ordentlichen Quittung mahnten die Chefs an: „Genosse! Zum letzten Mal! Ab 50 Mark reicht ein einfacher Bon nicht. “

Viele ohne Widerstand

Überraschend ist, wie viele Hallenser offenbar ohne Widerstand bereit waren, ein Zimmer oder auch ihre ganze Wohnung der Stasi zur Verfügung zu stellen. Vor allem ältere SED-Parteigenossen und frühere IM waren laut den Berichten leicht zu überzeugen. Die Gegenleistung: Mal ein Blumenstrauß, mal Pralinen. Mehr nicht.

Begehrt waren vor allem Wohnungen an strategisch wichtigen Punkten wie etwa am heutigen Riebeckplatz, gegenüber dem damaligen Interhotel. Ein Rentnerehepaar, er bei der Polizei, sie in der Justiz tätig gewesen („klarer marxistisch-leninistischer Klassenstandpunkt“), stellte ein Zimmer in ihrer Wohnung in einem Zehngeschosser direkt am Riebeckplatz zur Verfügung. Die Aufforderung, zusätzlich aber auch Berichte über Personen zu schreiben, lehnte der Mann ab und begründete dies mit „Schreibfaulheit“, so die Akten. Die Stasi schluckte das. „Operativgeld“ in Form von bescheidenen monatlichen Weinbrand- und Kaffee-Lieferungen gab es dennoch.

Im Laufe der Jahre flogen immer mehr konspirative Wohnungen auf, in denen es bisweilen wie in einem Bienenstock zuging. So war ein Treff in der Mittelstraße Anlaufpunkt für 36 IM, ein anderer in der Brüderstraße für 25. Immer wieder warb die Stasi deswegen neue Wohnungen an und „archivierte“ andere. Solche Gelegenheiten waren auch ein guter Anlass, gleich mal das ganze Haus zu kontrollieren.

Im September 1988 meldete ein Führungsoffizier der Bezirksleitung, dass eine Bewohnerin eines Hochhauses in Neustadt ihm bei einem Zusammentreffen im Hausflur ganz offen gesagt habe: „Diese Wohnung ist ein Treff des MfS.“ Die Frau, Tochter eines hochrangigen Majors der Volkspolizei, wollte hier offenbar nur größeren Schaden abwenden. Als Folge jedoch wurden alle Hausbewohner überprüft, Archive durchforstet, Ermittlungen an den Arbeitsstellen der Mieter angestellt. Das Ergebnis: „Keine Gefährdung.“ Die Wohnung wurde nicht „archiviert“.

Wie effektiv die konspirativen Wohnungen waren, ist bislang nicht erforscht. Über 400 Akten beschäftigen sich nur mit den Objekten in Halle, ein Vielfaches an Berichten liegt noch ungesichtet bei der Stasi-Unterlagenbehörde. (mz)

Am Schülershof hatte die Stasi gleich elf konspirative Wohnungen genutzt.
Am Schülershof hatte die Stasi gleich elf konspirative Wohnungen genutzt.
Günter Bauer Lizenz