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Klassentreffen vor dem Untergang Klassentreffen vor dem Untergang: Im Mai 1989 war Genscher privat Halle

Von Steffen Könau 02.06.2019, 08:00
Genscher in Halle, kurz nach der Wende.
Genscher in Halle, kurz nach der Wende. stk

Halle (Saale) - Er kam immer wieder, und er kam immer wieder gern. Hans-Dietrich Genscher, in Reideburg bei Halle geboren und nach dem Studium beim Amtsgericht in Halle angestellt, hatte die DDR 1952 verlassen, seine Heimatstadt Halle aber nie vergessen. Regelmäßig besuchte der Mann, der seit 1974 bundesdeutscher Außenminister war, die Diva in Grau. Genscher kam stets privat, kaum ein Hallenser wusste, dass der aus dem Westfernsehen bekannte FDP-Politiker Verwandtschaft in Halle hatte.

Auch Genschers letzter Besuch in der sozialistischen Heimat Anfang Juni vor 30 Jahren geht unspektakulär über die Bühne. „Ohne Vorkommnisse“, so notiert das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), sei der „Besuchsaufenthalt des Außenministers der BRD“, verlaufen. Das wichtigste Ziel war erreicht: Es habe „keine besondere Öffentlichkeitswirksamkeit“ gegeben, vermerken die Akten.

Genscher galt der Stasi als pflegeleicht

Genscher gilt dem MfS in dieser späten Phase - es ist bereits sein 13. Besuch seit 1974 - als pflegeleicht. Das war anfangs anders gewesen: Ursprünglich hatte das MfS geglaubt, in Genscher einen CIA-Agenten vor sich zu haben. Aufklärungschef Markus Wolf entschied, dass der Politiker zu durchleuchten sei.

Günter Bohnsack von der Hauptabteilung X versucht daraufhin wochenlang, in Halle Quellen zu finden, die etwas über Genscher wissen. Und findet heraus „dass er unsportlich ist und gerne isst - am liebsten Bohnen mit Hammelfleisch“.

Auch vor der Reise 1989, deren Anlass ein Klassentreffen ist, beleuchtet das MfS jedes Detail. Als Genscher angekommen ist, behält es ihn im Auge: „12.25 Uhr Eintreffen des FDP-Politikers im Interhotel“, steht in den Akten, „14.08 Uhr Abfahrt nach Bad Lauchstädt“. Dort will Genscher eine Aufführung der Händel-Festspiele besuchen, am Rande gibt er ein Autogramm. Die Stasi schreibt mit.

Bei Genschers Klassentreffen war die Stasi mittendrin

Abends dann findet das Klassentreffen im Restaurant „Ufa“ statt, das Genscher bereits recht früh verlässt, so dass das MfS für 23.27 Uhr „Nachtruhe“ notieren kann. Etwas Aufregung herrscht am nächsten Morgen, als Genscher mitten durch die Stadt zum Gottesdienst in der Marktkirche spaziert, wo am Abend zuvor ein „Nachtgebet“ stattgefunden hat, das „staatsfeindlichen Charakter“ (MfS) trug.

Doch es geht alles glimpflich aus. Die renitenten Christen sind schon fort und „bei seinen Spaziergängen im Stadtgebiet nahmen Außenstehende kaum von seiner Anwesenheit Notiz“. Genscher besteigt wenig später sein Auto und um 10.30 Uhr hakt die Stasi den Besuch ab: Der Politiker habe die DDR über Wartha verlassen, heißt es.

Dass ein von der Stasi überwachter Hallenser es dennoch geschafft hatte, einem Begleiter von Genscher Belege für die Fälschung der DDR-Kommunalwahlen zu übergeben, ist dem MfS glatt entgangen. (mz)