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Judo Judo: Lieber, weißer Hirte

Von Petra Szag 13.06.2012, 19:51

Halle (Saale)/MZ. - Das Interview zwischen zwei Einsätzen in der zweiten Judo-Bundesliga für den SV Halle bereitet Albert Klaas Drent sichtlich viel Vergnügen. "Es ist interessant, einmal die andere Seite kennenzulernen", sagte der Niederländer im perfekten Deutsch und streicht sich seine dunklen Locken aus dem Gesicht. "Sonst bin immer ich derjenige, der die Fragen stellt." In der Mittagspause war der Doktorand mal schnell mit dem Rad aus dem Max-Planck-Institut zu der Frage-Antwort-Runde in das kleine Freiluft-Cafe gekommen. Wenn man den ganzen Tag im Büro sitzt und an einer Forschungsarbeit schreibt, sieht man darin sicher eine willkommene Abwechslung.

Hochleistungssport bis zum Abi

Dass er als Judoka das öffentliche Interesse geweckt hat, verwundert ihn dennoch. "Ich sehe mich gar nicht mehr als Leistungssportler", gibt der 34-Jährige zu. Die Prioritäten haben sich im Laufe der letzten Jahre doch enorm verschoben. "Natürlich gehe ich auf die Matte, um zu gewinnen", sagt Drent. "Aber ich verspüre den Druck nicht mehr so wie früher. Es geht um Spaß. Und ich will den Jungs helfen, weil der Mannschaft ein Schwergewichtler fehlt."

Seine Antworten sind ruhig und besonnen. Schwer zu glauben, dass er auf der Judomatte explodiert, er seinen Gegner aggressiv attackiert. Drent selbst sieht darin auch den Grund, warum er es in dieser Kampfsportdisziplin nicht bis ganz nach oben geschafft hat. "Eigentlich bin ich zu lieb für diesen Sport. Man muss manchmal ganz schön reingehen", gibt er zu und muss mit einem Mal lachen, weil er an Samstag denkt, wenn es zum Spitzenreiter nach Speyer geht. "Es ist sicher nicht gut, wenn ich das so sage, das könnte ja mein nächster Gegner lesen."

Dennoch hat er in seiner Jugend in Groningen, seiner Heimatstadt gleich hinter der deutsch-niederländischen Grenze, Judo mit allem Ehrgeiz betrieben. Sein siebter Platz bei den nationalen Meisterschaften vor 16 Jahren war der größte Erfolg des Schwarzgurts. Nach dem Abi blieb nicht mehr die Zeit für Hochleistungssport.

Und wieder erstaunt es, wenn man von Drents Berufswahl hört. Nach drei Jahren in Frankreich, wo er mit geistig behinderten Menschen arbeitete, und einem Studium der Entwicklungshilfe im holländischen Wageningen versucht er seit 2008 als Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Ethnologische Forschung, intermenschliche Beziehungen zu ergründen. Da geht es vor allem um Konflikte und ihre Lösungen.

Friedliche Konfliktlösungen und aggressiver Kampfsport - auf den ersten Blick scheint das für Außenstehende widersprüchlich. "Kampfsportler können mit Aggressionen umgehen", versichert Drent. Sie zu kanalisieren, hat er gelernt.

Beruflich sind Aggressionen aber fehl am Platz. Man braucht Einfühlungsvermögen, wenn man zu ergründen versucht, wie Menschen zusammenleben, welche Probleme sie haben. Aus diesem Grund war Drent 2009 für ein Jahr in Kamerun. Dort studierte er einerseits das Leben der einheimischen Nomaden, die mit ihren Rinderherden - praktisch dem Regen hinterher - durchs Land ziehen. Und er lernte andererseits das Leben der sesshaften Bauern kennen, die Felder bestellen - Konflikte sind da programmiert. "Deren Lösung fängt mit dem Einblick an", sagt Drent. Dazu will er mit seiner Arbeit beitragen.

Faible auch für Boxen und Fußball

Aus dieser abenteuerlichen Zeit hat er nicht nur eine Menge Erkenntnisse mitgebracht, sondern - wegen seiner Dauerpräsenz bei der Viehherde - auch den Spitznamen weißer Hirte. Aber es gab auch unangenehme Mitbringsel wie Malaria, einen Schimmelpilz oder die hartnäckige Ohrenentzündung. An Judo war deshalb auch nach seiner Rückkehr nach Halle 2010 erst einmal nicht zu denken.

Von den Strapazen hat sich Drent mittlerweile erholt. Er trainiert wieder regelmäßig im halleschen Stützpunkt, dazu einmal in der Woche mit den Boxern von "La Familia". Und Fußball wird auch hin und wieder gespielt - zur Erwärmung. "Aber da bin ich nicht wirklich gut, das kriege ich immer wieder von den Jungs gesagt", erzählt Drent und muss erneut lachen.

Das EM-Spiel zwischen Deutschland und den Niederlanden am Mittwochabend wollte er sich nach dem Training dennoch anschauen. Ohne seine Teamkollegen. Die sind erst am Samstag beim Bundesliga-Kampf wieder seine Freunde.