Interview mit Lutz Buschkow Interview mit Lutz Buschkow: "Das tut mir in der Seele weh"

Halle (Saale)/MZ - Lutz Buschkow, der Direktor für Leistungssport im Deutschen Schwimmverband (DSV), wirkt ausgeglichen und souverän. Dass seine Becken-, Freiwasser und Synchronschwimmer sowie Wasserspringer bei der Heim-EM ab morgen auf den Prüfstand müssen, treibt den Puls des 56-jährigen Hallensers offenbar nicht in die Höhe. Dabei gab es vorher einiges Ungemach. Petra Szag sprach mit Lutz Buschkow.
Warum gehen die Beckenschwimmer ins Velodrom, wo extra ein mobiles Becken installiert werden musste? Warum nicht in den benachbarten Europasportpark, in dem 2002 die EM ausgetragen wurde?
Buschkow: Bei der Größe dieser EM mit Beckenwettbewerben, Wasserspringen und Synchronschwimmen reicht diese Anlage nicht mehr aus. Deshalb kämpfen dort diesmal die Springer und Synchronschwimmer um die Medaillen. Die Becken-Athleten können den oberen Bereich zum Einschwimmen nutzen. Im Velodrom haben zudem bis zu 4 000 Zuschauer Platz, also wesentlich mehr als im Europasportpark.
Paul Biedermann erwartet einen Hexenkessel. Die lautstarke Unterstützung wirkt beflügelnd, der eine oder andere könnte über sich hinauswachsen. Dennoch wurden diesmal bei der Nominierung kaum Zugeständnisse gemacht. Nur wer die Normen vier Mal erfüllt hat, ist dabei. Bei den Frauen-Freistilstaffeln ist Deutschland als Gastgeber nicht einmal präsent.
Buschkow: Ehrlich, auch mir tut das in der Seele weh. Aber wenn wir im Vorlauf ausscheiden, werden wir auch bloß zerrissen. Wenn wir nun einmal keine vier Frauen haben, die die Voraussetzungen für einen Staffelstart erfüllen, dann ist das auch eine Aussage. Um bei einer EM dabei sein zu dürfen, muss man ein gewisses Grundniveau haben. Und glauben Sie mir, nächstes Jahr bei der WM in Kasan und 2016 in Rio bei Olympia werden die Anforderungen noch viel höher sein.
Die Zielvorgabe bei der EM mit sechs bis acht Medaillen für die Beckenschwimmer erscheint sehr hoch. Wieder sind es die Altbewährten wie Paul Biedermann, Marco Koch oder Steffen Deibler, die es richten sollen. Oder drängt sich jemand aus dem Perspektivteam von Bundestrainer Henning Lambertz förmlich auf?
Buschkow: Die Jungen jetzt schon unter Druck zu setzen, wäre falsch. Henning Lambertz hat in den letzten Monaten mit den Trainingswissenschaftlern ein Team aus Nachwuchsschwimmern zusammengestellt, das mit Talent, Fleiß und der richtigen Einstellung die Grundbedingungen für spätere Erfolge erfüllt. Für sie wurde ein spezielles Lehrgangs- und Wettkampfsystem zusammengestellt. Nun müssen wir ihnen die Möglichkeit geben, diese Rahmenbedingungen zu nutzen und sich zu entwickeln. Möglicherweise sehen wir jetzt schon Entwicklungstendenzen. Bis 2020 sollten wir in die Spur kommen, alles andere wäre illusorisch.
Wird man Lambertz als Chefbundestrainer diese Zeit lassen?
Buschkow: Für mich ist der Gradmesser, wie er versucht, seine Konzepte in die Tat umzusetzen. Er hat einiges angestoßen, arbeitet eng mit den Heimtrainern zusammen, hinterfragt kritisch Trainingsinhalte. Die unmittelbare Wettkampfvorbereitung wurde enger gefasst. Vorbereitungslehrgänge finden unter zentraler Leitung statt wie zuletzt auf Sardinien und die nächsten Tage dann in Potsdam.
Und wenn die EM vorbei ist? Wo sehen Sie grundsätzlich Handlungsbedarf?
Buschkow: Wir haben gemerkt, dass uns gerade der Nachwuchs der Spitzennationen etwas vormacht im Grundlagen- und Ausdauerbereich. Also müssen wir hinsichtlich der Trainingsumfänge, Trainingsintensität und Trainingsqualität etwas ändern - ohne die schulische oder berufliche Ausbildung zu gefährden. Ein schwieriger Spagat, der nur gelingt, wenn wir für jeden einzelnen eine praktikable Lösung finden.
Die medaillenträchtigen Freiwasserschwimmer fühlen sich in der Abgeschiedenheit von Grünau unter Wert verkauft.
Buschkow: Für die Open-Water-Schwimmer haben wir nach dem bestmöglich Machbaren gesucht. Ich finde, dass der Ruder- und Kanukanal in Grünau gute Bedingungen bietet.
Und doch wäre unser Medaillen-Garant Thomas Lurz lieber in der Innenstadt durch die Spree gekrault, um auch Werbung in eigener Sache zu betreiben.
Buschkow: Natürlich haben wir auch diese Variante geprüft. Aber aus Sicherheitsgründen mussten wir davon Abstand nehmen. In der Spree haben wir Schiffsverkehr, und es gibt noch viele andere Dinge zu beachten wie die Strömung. Grünau wiederum ist sehr traditionsreich und wettkampferprobt. Mit dieser Strecke kann man den Zuschauern die Sportart näherbringen mit ihren Zuschauertribünen. Was auch ganz wichtig ist und sonst so manches Mal ein Kritikpunkt der Freiwasserschwimmer: Hier stimmt die Wasserqualität. Und außerdem ist man vom Velodrom auch schon in 30 Minuten in Grünau - bei der Größe von Berlin ist das nicht erheblich. Das alles hat den Ausschlag gegeben, dass wir uns letztlich für diese Variante entschieden haben.
Der eng gestrickte Zeitplan ermöglicht allerdings kaum Doppelstarts über fünf und zehn Kilometer, wie Lurz monierte.
Buschkow: Die zeitliche Abfolge des Wettkampfprogramms hat der Europäische Verband als Veranstalter zusammen mit dem Fernsehen erstellt. Wir als Deutscher Schwimmverband haben da nur sekundär Einfluss. Ich kann Thomas Lurz’ Verärgerung verstehen, wir hätten uns auch eine andere Wettkampffolge gewünscht. Aber dieses Problem haben alle Freiwasserschwimmer.
Und wie ist die Situation bei den Freiwasserschwimmern, die ja morgen den Anfang machen bei dieser EM?
Buschkow: Thomas Lurz ist ohne Frage eine Leitfigur, einer, der sich immer im Grenzbereich seiner Leistungsfähigkeit bewegt. Das macht ihn zum Vorbild für alle Wassersportler. Dazu kommen weitere routinierte Athleten. Noch beißen sich die Jungen wie Rob Muffels oder Finnia Wunram an ihnen die Zähne aus, weil die Etablierten einfach viel mehr internationale Erfahrung haben mit dem Wellengang, der Strömung oder dem Anschwimmen einer Verpflegungsstätte. Die EM bietet den Jungen die Chance, dazuzulernen.
Bei den Wasserspringern muss laut Zielvereinbarung mit fünf bis sieben Medaillen in jeder zweiten Disziplin ein Treppchenplatz herausspringen. Muss Vorspringer Patrick Hausding deshalb wie bei der EM 2010 in Budapest fünfmal ran, um wieder fünfmal Edelmetall zu holen?
Buschkow: Viele Starts werden nicht immer belohnt. Wir entscheiden das kurzfristig anhand der Trainingsergebnisse der letzten Tage.
Demnach gibt es Alternativen. Sind die Wasserspringer breiter aufgestellt?
Buschkow: Tatsächlich haben wir mit einem Oliver Hohmut oder einer Tina Punzel junge Springer, die sich gut entwickeln. Dazu kommen unsere Etablierten um Patrick Hausding, Stefan Feck, Nora Subschinski oder Sascha Klein. Der hat sich dazu entschieden, bis 2016 weiterzumachen und die nächsten zwei Jahre in Dresden zu trainieren, während seine Freundin in Aachen bleibt. Sascha pendelt also.
Ihre Athleten haben sich über die EM hinaus zu dem Ziel Olympia 2016 bekannt. Was ist mit den Trainern? Einige sehr verdienstvolle haben das Alter, in den Ruhestand zu gehen.
Buschkow: Das wird beispielsweise bei Uwe Fischer aus Leipzig im September der Fall sein. Und in Halle hört Horst Wels im April nächsten Jahres auf. Die Arbeit an den Stützpunkten ist aber gesichert, weil junge, engagierte Trainer übernehmen werden. So wie in Halle Norman Becker, der die Trainerakademie absolviert hat.
Nach dem Wegfall von Aachen gibt es nur noch fünf Stützpunkte Wasserspringen bundesweit. Ist deren Zukunft sicher?
Buschkow: Sie stehen auf soliden Füßen. An allen gibt es kleine, viel versprechende Talente. Das stimmt für die Zukunft zuversichtlich.