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Interview mit Lutz Buschkow Interview mit Lutz Buschkow: "Das tut mir in der Seele weh"

11.08.2014, 17:19
Der in Halle lebende Lutz Buschkow ist seit September 2008 Sportdirektor Leistungssport im DSV.
Der in Halle lebende Lutz Buschkow ist seit September 2008 Sportdirektor Leistungssport im DSV. dpa Lizenz

Halle (Saale)/MZ - Lutz Buschkow, der Direktor für Leistungssport im Deutschen Schwimmverband (DSV), wirkt  ausgeglichen und souverän. Dass seine Becken-, Freiwasser und Synchronschwimmer sowie Wasserspringer  bei der Heim-EM ab morgen auf den Prüfstand  müssen, treibt den Puls  des 56-jährigen Hallensers offenbar  nicht in die Höhe. Dabei gab es vorher einiges Ungemach. Petra Szag sprach mit Lutz Buschkow.

 

Warum   gehen die Beckenschwimmer ins Velodrom, wo extra ein mobiles Becken installiert werden musste? Warum nicht in den benachbarten Europasportpark, in dem  2002 die EM   ausgetragen wurde?

Buschkow: Bei der Größe dieser EM mit Beckenwettbewerben, Wasserspringen und  Synchronschwimmen reicht diese Anlage nicht mehr aus. Deshalb kämpfen dort diesmal die Springer und Synchronschwimmer um die Medaillen.  Die Becken-Athleten können den oberen Bereich zum   Einschwimmen nutzen. Im Velodrom haben zudem bis zu 4 000 Zuschauer Platz, also wesentlich mehr als im Europasportpark.  

 

Paul Biedermann erwartet einen Hexenkessel. Die lautstarke Unterstützung wirkt beflügelnd,  der eine oder andere könnte über sich hinauswachsen. Dennoch wurden diesmal bei der Nominierung  kaum Zugeständnisse gemacht. Nur wer die Normen vier Mal erfüllt hat, ist dabei. Bei den Frauen-Freistilstaffeln  ist Deutschland als Gastgeber  nicht einmal präsent.

Buschkow: Ehrlich, auch mir  tut das  in der Seele weh. Aber wenn wir im Vorlauf ausscheiden, werden wir auch bloß  zerrissen. Wenn wir nun einmal keine vier Frauen haben, die die Voraussetzungen für einen Staffelstart erfüllen, dann ist das auch eine Aussage. Um bei einer EM  dabei sein zu dürfen, muss man ein gewisses Grundniveau haben. Und glauben Sie mir, nächstes Jahr bei der WM in Kasan und 2016 in Rio bei Olympia werden die Anforderungen noch viel höher sein. 

 

Die Zielvorgabe bei der EM mit sechs bis acht Medaillen für die Beckenschwimmer erscheint sehr hoch. Wieder sind es die Altbewährten wie Paul Biedermann, Marco Koch oder Steffen Deibler, die es richten sollen. Oder drängt sich jemand aus dem Perspektivteam von Bundestrainer Henning Lambertz förmlich auf?

Buschkow: Die Jungen jetzt schon unter Druck zu setzen, wäre falsch. Henning Lambertz hat in den letzten Monaten mit den Trainingswissenschaftlern   ein Team aus Nachwuchsschwimmern zusammengestellt, das mit Talent, Fleiß  und der richtigen Einstellung die Grundbedingungen  für spätere Erfolge erfüllt. Für sie wurde ein spezielles Lehrgangs-  und Wettkampfsystem zusammengestellt. Nun müssen wir ihnen die Möglichkeit geben, diese Rahmenbedingungen zu nutzen und sich zu entwickeln. Möglicherweise sehen wir jetzt  schon Entwicklungstendenzen. Bis 2020 sollten wir in die Spur kommen, alles andere wäre illusorisch.

 

Wird man  Lambertz als Chefbundestrainer diese Zeit lassen?

Buschkow: Für mich ist der Gradmesser, wie er versucht, seine Konzepte in die Tat umzusetzen. Er hat einiges angestoßen, arbeitet  eng mit den Heimtrainern zusammen, hinterfragt kritisch Trainingsinhalte.  Die unmittelbare Wettkampfvorbereitung wurde enger gefasst. Vorbereitungslehrgänge finden unter zentraler Leitung statt wie zuletzt auf  Sardinien und die nächsten Tage dann in Potsdam.

 

Und wenn die  EM vorbei ist? Wo sehen Sie grundsätzlich Handlungsbedarf?

Buschkow: Wir haben gemerkt, dass uns gerade der Nachwuchs der Spitzennationen etwas vormacht im Grundlagen- und Ausdauerbereich. Also müssen wir  hinsichtlich der Trainingsumfänge, Trainingsintensität und Trainingsqualität etwas ändern - ohne die schulische oder berufliche Ausbildung zu gefährden.   Ein schwieriger Spagat, der nur gelingt, wenn wir  für jeden einzelnen eine praktikable Lösung  finden.    

 

Die medaillenträchtigen Freiwasserschwimmer fühlen sich in  der Abgeschiedenheit von Grünau unter Wert verkauft.

Buschkow: Für  die Open-Water-Schwimmer  haben wir nach dem bestmöglich Machbaren  gesucht. Ich finde, dass der Ruder- und Kanukanal in Grünau gute Bedingungen bietet.

 

Und doch wäre unser Medaillen-Garant Thomas Lurz lieber in der Innenstadt durch die Spree gekrault, um auch Werbung in eigener Sache zu betreiben.   

Buschkow: Natürlich haben wir auch diese Variante geprüft. Aber aus Sicherheitsgründen mussten wir davon Abstand nehmen. In der Spree haben wir  Schiffsverkehr, und es gibt noch viele andere Dinge zu beachten wie die Strömung. Grünau wiederum ist sehr traditionsreich und wettkampferprobt. Mit dieser  Strecke kann  man den Zuschauern die Sportart näherbringen mit  ihren Zuschauertribünen. Was  auch ganz wichtig ist und sonst so manches Mal  ein Kritikpunkt der Freiwasserschwimmer: Hier stimmt die Wasserqualität.  Und außerdem ist man vom Velodrom   auch schon in 30 Minuten  in Grünau - bei der Größe von Berlin ist das nicht erheblich. Das alles hat den Ausschlag gegeben, dass wir uns letztlich für diese Variante entschieden haben.

 

Der eng gestrickte Zeitplan ermöglicht allerdings kaum Doppelstarts über fünf und zehn Kilometer, wie Lurz monierte.

Buschkow: Die zeitliche Abfolge des  Wettkampfprogramms hat der Europäische Verband als Veranstalter zusammen mit dem Fernsehen erstellt. Wir als Deutscher Schwimmverband haben da nur sekundär Einfluss. Ich kann Thomas Lurz’ Verärgerung verstehen, wir hätten uns auch eine andere Wettkampffolge gewünscht. Aber dieses Problem haben alle Freiwasserschwimmer.

 

Und wie ist die Situation bei den Freiwasserschwimmern, die ja morgen den Anfang machen bei dieser EM?

Buschkow: Thomas Lurz ist ohne Frage eine Leitfigur, einer, der sich immer im Grenzbereich seiner Leistungsfähigkeit bewegt. Das macht ihn zum Vorbild für alle Wassersportler. Dazu kommen weitere routinierte Athleten. Noch beißen sich die Jungen wie Rob Muffels oder Finnia Wunram an ihnen die Zähne aus, weil die Etablierten einfach viel mehr internationale Erfahrung haben mit   dem Wellengang, der Strömung oder dem Anschwimmen einer Verpflegungsstätte. Die EM bietet den Jungen die Chance, dazuzulernen.

 

Bei den Wasserspringern muss laut Zielvereinbarung  mit fünf bis sieben Medaillen in jeder zweiten Disziplin ein Treppchenplatz herausspringen. Muss Vorspringer Patrick Hausding deshalb wie  bei der EM 2010 in Budapest fünfmal ran, um wieder fünfmal Edelmetall zu holen?

Buschkow: Viele Starts werden nicht immer belohnt. Wir entscheiden das kurzfristig anhand der Trainingsergebnisse der letzten Tage.

 

Demnach gibt es Alternativen. Sind die Wasserspringer breiter aufgestellt?

Buschkow: Tatsächlich haben wir mit einem Oliver Hohmut oder einer Tina Punzel junge Springer, die sich gut entwickeln. Dazu kommen unsere Etablierten   um Patrick Hausding, Stefan Feck, Nora Subschinski  oder Sascha Klein. Der hat sich  dazu entschieden, bis 2016 weiterzumachen und die  nächsten zwei Jahre in Dresden zu trainieren, während seine Freundin in Aachen bleibt. Sascha  pendelt also.

 

Ihre Athleten haben sich  über die EM hinaus zu dem  Ziel Olympia 2016 bekannt. Was ist mit den Trainern?  Einige sehr verdienstvolle  haben das Alter, in den Ruhestand zu gehen.

Buschkow: Das wird beispielsweise bei Uwe Fischer aus Leipzig im September der Fall sein. Und in Halle hört Horst  Wels im April nächsten Jahres auf. Die Arbeit an den Stützpunkten ist aber gesichert, weil junge, engagierte Trainer übernehmen werden. So wie in Halle Norman Becker, der die Trainerakademie absolviert hat.

 

Nach dem Wegfall von Aachen gibt es nur noch fünf Stützpunkte Wasserspringen bundesweit.   Ist deren Zukunft sicher?

Buschkow: Sie stehen auf soliden Füßen. An allen gibt es kleine,  viel versprechende Talente. Das stimmt für die Zukunft zuversichtlich.