Händel-Festspiele Händel-Festspiele: Die Gegenwart des Meisters
Halle (Saale)/MZ. - Einerseits hätte der Termin nicht besser gewählt werden können, andererseits führte das zufällige Zusammentreffen von Himmelfahrt und Händelfest dann doch zu einigen kuriosen Überschneidungen. Nachdem bei der Feierstunde am Denkmal einige feuchtfröhliche Zaungäste gesichtet worden waren, klang das "Hallelujah" an diesem kirchlichen Feiertag besonders passend. Und auch bei den Festreden in der Händel-Halle spielten einige Zwischentöne auf die Koinzidenz des Geschehens an.
Politischer Paradigmenwechsel
Im Kern freilich ging es um Händel - und um die Finanzierung der Festspiele, bei der sich auf Landesseite ein bemerkenswerter Paradigmenwechsel abzeichnet. Nachdem der frühere Ministerpräsident Wolfgang Böhmer in der Vergangenheit stereotyp veränderte Festival-Intervalle angemahnt hatte, versprach sein Amtsnachfolger Reiner Haseloff dem größten Barockfest des Landes einen oberen Platz auf der Agenda der Angebote - auch dann, wenn es im Zuge des Kultur-Konvents zur Konzentration der Aufgaben kommen sollte. Das hörte sicher nicht nur Halles Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados gern - sondern auch der Festspiel-Intendant und Stiftungsdirektor Clemens Birnbaum, der bereits vor dem Beginn des eigentlichen Programms für dessen kluge Dramaturgie gelobt wurde.
Ob und wie sein Konzept aufgehen würde, durfte man sich bereits angesichts des Eröffnungskonzertes fragen: Immerhin war Händel beim Auftritt der Staatskapelle unter Leitung ihres Generalmusikdirektors Karl-Heinz Steffens zwar präsent - aber stets nur mittelbar. Mit Rücksicht auf das modern instrumentierte Orchester hatte man nämlich auf originale Barockwerke verzichtet und statt dessen Händel-Bearbeitungen aus späteren Jahrhunderten an den Beginn des Abends gesetzt. Und während man sich ausgerechnet in Mozarts Adaption der Ouvertüre zur Cäcilientags-Ode fragen musste, ob eine derart pastose und gravitätisch besetzte Lesart dem Werk zu Ehren der Musik-Patronin gerecht werden könne, war man spätestens im zweiten Stück versöhnt.
Da nämlich präsentierten sich die Brahms-Variationen und Fuge über ein Thema von Georg Friedrich Händel - und zwar in der Orchestrierung von Edmund Rubbra, die der Mechanik des 19. Jahrhunderts auch noch einen Schuss moderner Automatik verpasst. Der unerlösten Romantik von Johannes Brahms fügt der Brite ein paar schärfere und grellere Farben hinzu, wobei sich das Imitat des Piano-Klangs im Streicher-Pizzicato allerdings mit der Zeit erschöpft. Die Staatskapelle aber steigerte sich mit diesem Werk auf die erwartbare Form - und leitete zugleich zum Höhepunkt des Abends hin.
Mit Uri Caine war nämlich ein Stargast gewonnen wurden, dessen Blick auf das musikalische Erbe ebenso originell wie streitbar ist. Dass er diesmal "Variations of Variations" liefern würde, hatte er bereits bei der Pressekonferenz angekündigt. Und tatsächlich griff der amerikanische Pianist auf jenes Brahms-Werk zurück, das zuvor bereits aus der Perspektive des 20. Jahrhunderts betrachtet worden war - und holte es gemeinsam mit der Staatskapelle in die unmittelbare Gegenwart.
Der Groove der Barock-Romantik
Dabei spürte man schnell, wie gut sich das Improvisations-Prinzip des Jazz den Klaviersuiten von Georg Friedrich Händel anverwandeln lässt, die ihrem Interpreten bekanntlich auch viel Freiraum für Auszierung bieten. Caine mischt unablässig Zwischenstimmen in das Vorbild, er verschiebt die Rhythmen und dekonstruiert das Klangbild, um auf gezielten Irrwegen doch wieder an das Ziel zu kommen. Als Kollaborateur und Gegner des Orchesters entdeckt er hinter historischem Pathos heutigen Groove - und als er schließlich aus diffusen Klangwolken das Motiv wie einen hellen Lichtstrahl aufscheinen lässt, lächeln auch der Dirigent und seine Musiker.
Denen bleibt es am Ende vorbehalten, mit der Suite aus dem "Rosenkavalier" von Richard Strauss einen hintersinnigen Verweis auf das Festival-Motto zu liefern, das diesmal ja den sächsischen Barock in den Blick nimmt. Diese Walzerseligkeit im Breitwandformat ist meisterlich musiziert, mit scharfem Blick für die Details und Gespür für die Doppelbödigkeit der Komposition. Dass Halles großes Orchester damit zugleich eine Überleitung auf das Folgende liefern würde, hätte freilich selbst der raffinierteste Programmplaner nicht ahnen können. Denn die Laudatio, die Hartmut Krones auf den diesjährigen Händel-Preisträger Wolfgang Ruf hielt, war ein Lehrstück in Sachen Wiener Schmäh.
Dass sich der Nestor der halleschen Musikwissenschaft darüber gefreut hat, als Generalist seines Faches gelobt zu werden, darf man annehmen. Dass sich die Hallenser über die ironische Bezeichnung ihrer Heimat als "Zone" freuten, muss man hingegen bezweifeln.