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Gerüchte, Wahrheiten und Anekdoten Hallescher Verein sucht „Russen“-Geschichten für ein Buch

Der Verein Zeitgeschichten sucht nach Erinnerungen an Kontakte mit Angehörigen der sowjetischen Armee in Halle. Damit soll ein wenig beachtetes Kapitel hallescher Geschichte dokumentiert werden.

Von Katja Pausch 24.05.2021, 08:00
Waren zu DDR-Zeiten Kontakte zwischen Bürgern und Armisten der Sowjetarmee nicht erwünscht, gab es um 1990 erste Begegnungen.
Waren zu DDR-Zeiten Kontakte zwischen Bürgern und Armisten der Sowjetarmee nicht erwünscht, gab es um 1990 erste Begegnungen. Fotos: Archiv Frank Eigenfeld

Halle (Saale) - Um sie haben sich viele Geschichten gerankt, ja mehr noch: viele Gerüchte, die damals hinter vorgehaltener Hand erzählt wurden und teilweise immer noch kursieren. Und auch wenn die viel beschworene deutsch-sowjetische Freundschaft einst hochgehalten wurde, waren Kontakte zwischen Einheimischen und „den Russen“, die in Halle an zwei Garnisonsstandorten untergebracht waren, nicht gern gesehen. Doch es gab sie, und ein Projekt des Vereins Zeitgeschichten will sich jetzt mit diesem bisher wenig beachteten Kapitel hallescher Geschichte näher befassen.

Privater Kontakt zwischen Russen und Hallensern war von offizieller Seite unerwünscht

Etwa 15 000 „Russen“ lebten, bis sie 1991 abgezogen wurden, in den halleschen Kasernen in der Heide - dem heutigen Heide-Süd - und in Wörmlitz, das heute ein beliebtes Wohngebiet ist. So erinnern sich Hallenser immer noch an endlose Militärkolonnen, die zu DDR-Zeiten die Straßen verstopften, an den Geruch verschwitzter Uniformen von Armeeangehörigen, die selbst bei größter Hitze in voller Montur ab und zu in den Straßenbahnen mitfuhren. Manchmal sah man auch Mädchen in ihren Schulkleidern mit weißen Schürzen und den großen Schleifen an den Zöpfen im Stadtbild.

Doch ein privater Kontakt war von offizieller Seite unerwünscht. Lediglich im Rahmen der Gesellschaft der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft durften manchmal Besuche ausgewählter Delegationen in den Kasernen stattfinden, meist an Jahres- oder Feiertagen. „Ansonsten war die Russenkaserne eine geheime Stadt in der Stadt, wo man vielleicht im ,Magasin’ einkaufen konnte, das sich am Rande dieser ,geheimen Stadt’ befand“, so Anne Kupke, die das Projekt beim Zeitgeschichten-Verein betreut.

Viele Geschichten und Gerüchte rankten sich um die Bewohner der beiden  „Russen-Kasernen“ in Halle. Vor allem die Soldaten waren sehr jung.
Viele Geschichten und Gerüchte rankten sich um die Bewohner der beiden „Russen-Kasernen“ in Halle. Vor allem die Soldaten waren sehr jung.
(Foto: Archiv Frank Eigenfeld)

Kaum regionale Forschung oder öffentliche Erinnerung

Warum das Projekt, für das eine Crowdfunding-Aktion gestartet wurde, ins Leben gerufen wurde, erklärt sie so: „Erste Recherchen haben gezeigt, dass eigentlich alle bisher Befragten ein persönliches, meist anekdotenhaftes Erlebnis mit den Bewohnern der Kasernen beisteuern können“. Obwohl die Kasernen einen so großen Raum in der Stadt eingenommen hätten und in der Erinnerung ihrer Bewohner noch heute einnähmen, gebe es dazu kaum regionale Forschung oder öffentliche Erinnerung daran.

„Das wollen wir gern ändern“, so Anne Kupke, die 1990 als junges Mädchen selbst an einer Weihnachtspaket-Aktion von Neuem Forum, Eine-Welt-Haus und Kirchengruppen in der Garnison Heide teilgenommen hat. „Eine irre Aktion war das damals“, sagt sie. Und auch sie kennt Gerüchte, die heute noch in Erinnerung sind. Etwa über die jungen Soldaten mit ihren Kindergesichtern und den kahlgeschorenen Schädeln, die, so tuschelte man, streng behandelt und oft verprügelt worden sein sollen, und, dass diese das manchmal nicht mehr ausgehalten hätten.

Bei einer Päckchenaktion zu Weihnachten 1990 war auch die heutige Vorsitzende des Zeitgeschichten-Vereins,  Anne Kupke (im Vordergrund), dabei.
Bei einer Päckchenaktion zu Weihnachten 1990 war auch die heutige Vorsitzende des Zeitgeschichten-Vereins, Anne Kupke (im Vordergrund), dabei.
(Foto: Archiv Frank Eigenfeld)

Gerüchte, Erinnerungen und Anekdoten über Russen in Halle

„Private Kontakte waren damals unerwünscht“, erinnert sich wie viele Hallenser auch Simone Trieder, die für das Zeitgeschichten-Projekt „Russen“-Geschichten sammelt, um sie in einem Buch für die Nachwelt festzuhalten. „Es kursierten damals viele Gerüchte, aber es gibt auch schöne Geschichten, die tatsächlich passiert sind“, so Autorin Trieder, die zum Beispiel von einer Silvesterfeier weiß, die zum Jahreswechsel 1972/73 in einem Halle-Neustädter Wohnblock mit Hallensern und Sowjetbürgern stattgefunden haben soll.

„Vielleicht erinnert sich noch jemand daran“, hofft Simone Trieder. Auch Gerüchte wie die über Armeeangehörige, die aus ihrer Kaserne „abgehauen“ und fieberhaft gesucht worden sein sollen, machten in Halle die Runde, ebenso wie das, nach dem ein Panzer mit seinem Kanonenrohr ein Eckhaus in der Reil-/Ecke Wolfensteinstraße beschädigt haben soll. Kein Geheimnis ist, dass russische Offiziere im „Hubertus“ einkehrten und Feste feierten.

Vor allem Erlebnisberichte und Fotos der Hallenser und der damaligen Kasernenbewohner

Dass Soldaten heimlich als Arbeitskräfte aus der Wörmlitzer Garnison geholt worden sind, um die Produktion in einem Betrieb am Lutherplatz zu sichern. „Unser Interesse gilt vor allem der Grauzone an Begegnungen“, so Simone Trieder. Es sollen nicht nur Archivquellen erschlossen werden, sondern vor allem Erlebnisberichte und Fotos der Hallenser und der damaligen Kasernenbewohner in den heutigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion in das Projekt einfließen.

Wer sich mit Geschichten oder Fotos beteiligen möchte, kann sich unter Tel. 0345/203 60 40 an den Verein wenden. Mehr auf zeit-geschichten.de, Link zum Crowdfunding https://www.99funken.de/erforschung-der-russenkasernen. (mz)