Hallesche Geschichte Hallesche Geschichte: Wo Meckel das Bett für Napoleon bezog
Halle/MZ. - Hermann Otto Kirchhof lässt sich auf die Bank sinken und schiebt den Gehstock von sich. Das Gesicht hält er in die Sonne. Er genießt diesen milden Frühlings-Vormittag. Seinen täglichen Spaziergang hat er hinter sich. Die kurze Route hat er heute unter die Füße genommen. Es ging ihm nicht so gut. Manchmal, wenn er sich besser fühlt, dann läuft der 88-Jährige rüber in die Franckeschen Stiftungen. Die haben so einen Zauber, so eine unendliche Ruhe. Sein Leben lang hat ihn das fasziniert. Und sie sind schön geworden, die Stiftungen. Heute aber wollten die Beine nicht so recht. Da ist Hermann Otto Kirchhof im eigenen Viertel geblieben. Rund um den Großen Berlin ist er gelaufen. Und wieder hat ihn diese Ungeduld erfasst.
Den Großen Berlin, den kennt Otto Kirchhof in jedem Winkel. 1935 ist er aus dem Geiseltal nach Halle gezogen. Da lag das Viertel genau vor seiner Nase. Dann hat er in der Großen Märkerstraße gearbeitet, ist jeden Tag durch die Gassen zwischen der Leipziger und der Rannischen Straße gelaufen. Und vor rund 17 Jahren hat er gar eine Neubauwohnung in der Brauhausstraße bekommen, mit Blick auf den Großen Berlin. Aber da war der Abriss-Bagger schon rücksichtslos in die alten Häuser gefahren. Da war vom Großen Berlin nur noch die Hälfte übrig. Die Wunden im Viertel sitzen tief. Ödland hinter dem Ritterhaus, wo einmal die Brauerei Günther stand, Wüste hinter dem alten Eich- und Waageamt am Großen Berlin, ein Geröllfeld im Hof der Villa Große Märkerstraße 11. Überhaupt: Diese Villa Nummer 11 und ihre Umgebung - sie sind geschichtsträchtig, scheinen symbolisch für das Viertel, in dem Wissenschaftler wohnten, Künstler, Fabrikanten, gar gekrönte Häupter - wenngleich selbige auch nur für ein paar Nächte.
Vor knapp 800 Jahren kam das Gelände zu Halle. Der Name Berlin muss wohl slawischen Ursprungs gewesen sein, könnte so etwas wie umzäuntes Gebüsch oder Wildgatter geheißen haben. Egal, so richtig aufgeblüht ist die Gegend jedenfalls erst nach Gründung der Universität, als entlang der südlichen Stadtmauer - etwa im Verlauf der Großen Brauhausstraße am Großen Berlin - eine Reihe stattlicher Häuser entstanden, in denen die Gelehrten heimisch wurden.
Auch in unmittelbarer Nachbarschaft von Hermann Otto Kirchhof. In der Nummer 14, dem Haus von Prof. Johann Juncker, legte Dorothea Erxleben 1754 als erste deutsche Frau ihr Doktorexamen ab. In die Nummer 15 zog rund 30 Jahre später August Hermann Niemeyer, langjähriger Kanzler der Universität. Goethe und Schiller waren seine Gäste. Und in der Nummer 16 - wegen seines auffälligen Portals auch das "Riesenhaus" genannt - gaben sich die Berühmtheiten ebenfalls die Klinke in die Hand. Postmeister Friedrich Mateweis ließ die Villa errichten. Anatomieprofessor Phillipp Friedrich Theodor Meckel, bekannt durch seine skurrile anatomische Sammlung, die heute in den Uni-Kliniken an der Magdeburger Straße untergebracht ist, bezog die Räume später. Sohn Johann Friedrich Meckel, ebenfalls Mediziner, ließ 1806 für Kaiser Napoleon und 1813 für König Jerome seine Gästebetten beziehen.
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