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„Make Science Halle“ Hallenser werden mit einem Forschungsschiff zu Entdeckern auf der Saale

Bei der allmonatlichen Ausfahrt des halleschen Bürgerforschungsschiffs waren diesmal engagierte Nachwuchswissenschaftler mit dabei. Ein Reisebericht.

Von Phillip Kampert 04.08.2021, 09:30
Kreative Jungforscher aus ganz Deutschland diskutieren an Bord der ?Make Science Halle? über Wissenschaft und Politik.
Kreative Jungforscher aus ganz Deutschland diskutieren an Bord der ?Make Science Halle? über Wissenschaft und Politik. Fotos: Phillip Kampert

Halle (Saale)/Brachwitz/MZ - Der Motor brummt, die Leinen werden losgemacht, der Geruch von Diesel weht über das Deck der „Make Science Halle“. Langsam legt das etwa 25 Meter lange Schiff vom Riveufer ab. „Herzlich willkommen auf Deutschlands erstem Bürgerforschungsschiff“, sagt Ilka Bickmann, geschäftsführende Vorsitzende des Vereins „science2public“ und strahlt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der allmonatlichen Ausfahrt an.

„Make Science Halle“: Hallenser werden auf einem Forschungsschiff Entdecker auf der Saale

Es geht darum, Forschung und Zivilgesellschaft zusammenzubringen. Noch bevor sie die Route nach Brachwitz und zur dortigen Porphyrlandschaft beschreibt, kommt sie auf den Geruch des Diesels zu sprechen, der mit zunehmender Fahrtgeschwindigkeit schwächer wird: „Man riecht es. Dabei müssen wir von fossilen Brennstoffen weg. Wir müssen klimaneutral werden.“ Was vielerorts bloß gesagt wird, ist auf der „Make Science Halle“ schon in Planung.

Der nachhaltige Kraftstoff soll aus Algen gewonnen werden. Wer sich das nicht vorstellen kann, bekommt gleich an Bord des Schiffes einen Einblick und eine Kostprobe: Bevor die Gäste die zwei Algenreaktoren an Bord vorgestellt bekommen, gibt es nämlich für alle Algen-Smoothie, der geschmacklich an Salat erinnert. Gestärkt geht es unter Deck, wo Arbeitsplätze mit Mikroskopen aufgebaut sind. Die Algen gedeihen in zwei Zylindern, durch die Raumluft gepumpt wird. Die Pflanzen filtern Kohlendioxid daraus, benutzen es für ihr Wachstum. Aus solchen Algen könnte man im großen Maßstab Lebensmittel, Kraftstoff oder auch Plastik herstellen.

Sieben Jungforscherinnen und Jungforscher, die beim Bundeswettbewerb „Jugend forscht“, sind Ehrengäste

Auf der „Make Science Halle“ werden Verbindungen hergestellt. Der Klimawandel hängt mit dem Gestank des Diesels, hängt mit Umdenken bei Antriebstechniken, hängt mit den Algen im Glas zusammen. Während unter Deck die Forschungsapparaturen vorgestellt werden, sitzen die Ehrengäste der Ausfahrt noch unter dem Sonnensegel zusammen: Sieben Jungforscherinnen und Jungforscher, die beim Bundeswettbewerb „Jugend forscht“ angetreten sind.

Da sind beispielsweise Isabell Seibel (17) und Melina Reckermann (16) aus Tuttlingen, die den Anbau der Silphie untersucht haben, eine Alternative zum Mais bei der Biogasproduktion, die stabilere Ernten und erosionssicherere Äcker verspreche. In eine ganz andere Richtung gingen die Experimente von Tom Rosenmund (16) aus Berlin, der mithilfe von selbst erstellter Software die Verformung von Bläschen beim Aufsteigen in Wasser dokumentierte. „Je elliptischer die Bläschen, desto mehr Austausch findet zwischen dem Gas und der Flüssigkeit statt“, erklärt er - nicht uninteressant etwa für die „Fütterung“ der in Wasser schwimmenden Algen. Als das Schiff in Brachwitz anlegt, sucht der wissenschaftliche Nachwuchs Vulkangestein.

Erstklässlerin Anna hat Flusskrebse gefangen.
Erstklässlerin Anna hat Flusskrebse gefangen.
Phillip Kampert

Forschung auf dem Schiff dient nämlich nicht nur Vorführzwecken, sondern soll praktisch verwertet werden

Währenddessen keschern die mitfahrenden Kinder am Ufer. Unter der Anleitung des Freiwilligen im ökologischen Jahr, Tim Gabriel, werden die gefangenen Tiere zurück an Bord untersucht, vom Flusswasser Proben genommen. „Ich zeige einmal, wie es geht“, sagt Gabriel, „danach forschen die Leute selber. Das ist besser, als sie an die Hand zu nehmen.“

Tatsächlich bricht im Forschungsbereich Entdecker-Eifer aus. „Die Daten aus den Proben werden in unserer Datenbank gespeichert“, sagt Geschäftsführerin Bickmann. Die Forschung auf dem Schiff dient nämlich nicht nur Vorführzwecken, sondern soll auch praktisch verwertet werden. „Jeder Forscher hat einen politischen Auftrag, die Ergebnisse an die Gesellschaft weiterzugeben. Leider passiert das selten, und die Wissenschaft wirkt oft fremd und abgehoben“, sagt Bickmann.

Freiwilliger Tim Gabriel zapft frische Algen zum Mikroskopieren aus dem Reaktor.
Freiwilliger Tim Gabriel zapft frische Algen zum Mikroskopieren aus dem Reaktor.
Phillip Kampert

Kurzfristiges Denken: „Die Politik hängt in der Vergangenheit fest“

Dabei sei gerade die Kommunikation zwischen Forschung, Politik und Gesellschaft angesichts der kommenden Klimakatastrophe wichtiger denn je. Während unter Deck die Folgen des Klimawandels von Bürgerforschern dokumentiert werden, wird es auf dem Sonnendeck politisch. „Bei dieser Bundestagswahl geht es um so viel“, sagt Isabell Seibel aus Tut, „aber ich darf nicht wählen, nur weil ich 17 bin.“ Ihr Frust spiegelt die Stimmung in der Runde wieder.

Auch wenn es verschiedene Ideen dazu gibt, wie die Wirtschaft grün werden soll, geht es ihnen allen zu langsam. „Die Politik hängt in der Vergangenheit fest“, sagt Klara Bruns (19) aus Osnabrück, die auch zu Algen geforscht hat. Besonders der CDU wirft sie unter allgemeiner Zustimmung vor, mit kurzfristigem Denken und Klientelpolitik zukunftsweisende Klimamaßnahmen ausgebremst zu haben. Dabei sind sich alle einig, dass die Technologie für eine Wende vorhanden wäre. Forschung wie die ihre und Vermittlung wie von „Science2Public“, hofft Bickmann, könnten endlich bei breiter Umsetzung und Akzeptanz helfen.