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Halle/Saalekreis Halle/Saalekreis: Briefe vom Friedensfreund

Von PETER GODAZGAR 16.09.2010, 17:25

HALLE/MZ. - Politisch habe er "keine Statistenrolle" gespielt, heißt es im berühmten Munzinger-Archiv - und das ist noch zurückhaltend formuliert. Denn Gerald Götting war eine große Nummer in der DDR: Er war lange Jahre Vorsitzender der CDU, war Präsident der Volkskammer und stellvertretender Staatsratsvorsitzender. Mit Ulbricht reiste er 1964 nach Moskau, um den Freundschaftsvertrag zu unterzeichnen.

Gerald Götting, 1923 im damals noch nicht zu Halle gehörenden Nietleben geboren, lebt heute in Berlin. Nun hat der 87-Jährige sein Archiv der Stadt Halle überlassen - da Götting noch lebt, spricht man in diesem Fall nicht vom Nach-, sondern vom Vorlass. Bildungsdezernent Tobias Kogge und Stadtarchivar Ralf Jacob wollen die Neuerwerbung heute präsentieren.

Rund zwölf Regalmeter umfasst der Vorlass. Sehr viele Fotos seien dabei, sagt Stadtarchivar Ralf Jacob, außerdem Briefe, Manuskripte, Reden, Notizen. "Höhepunkte" des Vorlasses "sind sicherlich jene Belege, welche die internationalen Kontakte der DDR und der CDU in den Jahren 1964 bis 1989 dokumentieren", heißt es in der Einladung zur Pressekonferenz.

Dass Halle mit dem Vorlass hochinteressante Quellen aus erster Hand erhält, ist unbestritten. Ob man sich im Stadtarchiv so ganz im Klaren ist über Leben und Werk des Gerald Götting, steht auf einem anderen Blatt. So wies Stadtarchivar Ralf Jacob auf MZ-Nachfrage beispielsweise vehement zurück, dass Götting Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen sei. Mit solchen Behauptungen solle man "sehr vorsichtig" sein, meinte Jacob. Vielmehr sei Götting selbst von zahlreichen Stasi-Mitarbeitern bespitzelt worden. Man habe ihn quasi "bis vor die Wohnungstür" verfolgt.

Mag sein - indes berichtete der "Spiegel" bereits im September 1991, der CDU-Chef sei "Mitarbeiter des DDR-Staatssicherheitsdienstes und des sowjetischen Geheimdienstes KGB" gewesen. Götting sei 1953 erfolgreich angeworben worden. Jahrelang habe er unter dem Decknamen "Göbel" für die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) gearbeitet. Sein Auftrag: "Abdeckung der gesamten nachrichtendienstlichen Tätigkeit der HVA innerhalb der Ost-CDU." Bei der Anwerbung habe man sich, so der Spiegel, "grünes Licht beim sowjetischen Geheimdienst holen müssen".

In vielen Büchern warb Götting für die These, dass Christen Friedensfreunde seien und also "im Friedenslager der Sowjetunion" stehen müssten: "Der Christ sagt ja zum Sozialismus", "Der Christ beim Aufbau des Sozialismus", "Christliche Mitverantwortung im Sozialismus", "Christliche Bewährung im Sozialismus" .

Noch im August 1989 sagte Götting auf einer Tagung des CDU-Hauptvorstands: "Hier ist unser Vaterland, dem wir verbunden sind und das wir aktiv mitgestalten." Am 2. November 1989 trat er dann als CDU-Vorsitzender zurück, am 7. November wurde er aus dem Staatsrat abberufen, im Februar 1991 aus der CDU ausgeschlossen. Im Juli 1991 verurteilte ihn das Berliner Landgericht zu 18 Monaten auf Bewährung. Grund: Veruntreuung von Parteigeldern.

Laut Stadtarchivar Jacob haben sich auch die Konrad-Adenauer-Stiftung sowie eine Universität in den USA um die Sammlung bemüht. Dass Halle zum Zuge kam, liege wohl daran, dass Götting hier geboren sei. Mitarbeiter des Stadtarchivs wollen den Vorlass in den kommenden zwei Jahren wissenschaftlich aufarbeiten und danach der Forschung zur Verfügung stellen.