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Halle Halle: Prozess um Schüsse auf Underdogs-Chef vertagt

Von Katrin Löwe 23.08.2012, 05:38

Halle (Saale)/MZ. - Es ist alles anders als sonst. Rund um das Gerichtsgebäude steht Polizei parat, die üblichen Metallschleusen am Eingang sind von Sicherheitskräften mit Sturmhauben und schusssicheren Westen flankiert. Taschen von Besuchern werden nicht schlicht beäugt, sie werden bis auf den letzten Stift geleert - selbst der wird untersucht. Wer es dann durch eine Personalienkontrolle und die zweite Metallschleuse bis in Saal X 0.1 geschafft hat, sieht sich durch eine Panzerglas-Wand von den Handelnden getrennt: zehn Felder auf Rollen quer durch den Raum, schusssicher. Zum letzten Mal zum Einsatz gekommen sein sollen sie in Halle vor zwölf Jahren, als gegen die Frau von Metro-Mörder Norman Franz verhandelt wurde.

Schüsse auf den Rivalen

Es sind die schärfsten Sicherheitsvorkehrungen seit langem, die das hallesche Landgericht im Prozess um einen Rockerbanden-Krieg auffährt. Auf der Anklagebank: Daniel K., 39 Jahre alt, verlobt, Vater eines Kindes - und wohl führendes Mitglied des Rockerclubs "Bandidos" in Halle. Im Mai soll er versucht haben, den mutmaßlichen Chef der rivalisierenden "Underdogs" mit drei gezielten Schüssen durch die Seitenscheibe eines Pkw umzubringen. So steht es in der Anklage wegen versuchten Totschlags - von der zum Prozessauftakt kein Wort zu hören ist. Die Verteidigung will ein mögliches Problem auf der Liste der Hilfsschöffen erkannt haben, die eingesetzt werden, wenn ein Schöffe verhindert ist. Nach mehreren Unterbrechungen wird vertagt.

Die Geschehnisse der vergangenen zwei Jahre und die Sicherheitsvorkehrungen im Gericht machen aber auch so klar: Die Zeit, in der die Polizei kaum Konfliktpotenzial zwischen Rockern in Sachsen-Anhalt sah, weil deren Einzugsbereiche weit voneinander getrennt waren, ist vorbei. Sie ist schon vorbei im Oktober 2010, als sich die Underdogs und die Chicanos, ein Ableger der Bandidos, eine Straßenschlacht in Halle liefern - damals wird der heute Angeklagte angeschossen. Szenekenner glauben, dass sich die Privatfehde zwischen ihm und dem jetzigen Opfer auf die Clubs ausgedehnt hatte. Dann fallen die Schüsse im Mai 2012.

Halle, sagt das Innenministerium heute, ist ein Brennpunkt. Zwei verfeindete Clubs auf engem Raum, eine Konkurrenz, "die mit erheblichem Gefahrenpotenzial verbunden ist". Zur Bekämpfung der Rockerkriminalität - es geht um Vorherrschaft an Diskotüren, um Drogen, Waffen, Erpressung, das Rotlichtmilieu - gibt es im Land seit 2010 ein Konzept. Bei Razzien, zuletzt in Halle, werden unter anderem scharfe Schusswaffen, Macheten, mit Nägeln besetzte Baseballschläger gefunden. Verbote, heißt es, würden ständig geprüft.

Bundesweit sind zwischen 2009 und Juni 2012 elf sogenannte Chapter oder Charter verboten worden. In Hannover kam zuletzt einer der einflussreichsten Hells-Angels-Charter Deutschlands mit einer Auflösung einem Verbot zuvor. Offenbar war der Druck zu groß geworden: Mit jeweils um die tausend Beamten war die Polizei allein bei Razzien Ende Mai / Anfang Juni erst gegen die Hells Angels, dann gegen Bandidos vorgegangen. Seitdem vergeht in Deutschland kaum eine Woche ohne Rocker-Razzia.

Das große Schweigen

Die Ermittlungen im Milieu aber sind schwierig. "Als Mitglied einer Rockergruppe unterwirft man sich einem Ehrenkodex, der jegliches Kooperieren mit Strafverfolgungsbehörden unter Androhung schwerwiegender Konsequenzen untersagt", heißt es im Magdeburger Ministerium. Die Dinge regele man "unter sich" - wie nach der Straßenschlacht 2010 in Halle. Ein Jahr später wurden die Ermittlungen eingestellt, weil alle schwiegen, Täter und Opfer. Tote werden in Kauf genommen, Reden ist tabu. Fälle wie der von Ex-Rocker Steffen R., der in Kiel als Angeklagter nach monatelangem Schweigen plötzlich zu plaudern begann und damit besagte Riesen-Razzien in diesem Jahr auslöste, sind die Ausnahme. Und oft geht die Strategie der Rocker auf - auch das Landgericht Frankfurt / Oder musste so Anfang 2012 im Prozess zu einem blutigen Gemetzel in Finowfurt passen.

In Halle hat der nun angeklagte Daniel K. während des gesamten Ermittlungsverfahrens geschwiegen. Das Opfer indes soll angeblich ausgesagt haben - Beobachter sind nun gespannt, ob das auch im Prozess der Fall sein wird. Er wird am kommenden Montag fortgesetzt.