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Halle Halle: Im Polizeibus zu schaurigen Mordplätzen

Von Sandra M. Hänel 18.05.2010, 10:02
Touristenführer Volker Grasse posiert in Halle im Rahmen der sogenannten Stadtrundfahrt «Polizeiruf Halle» vor einem Kleinbus. (FOTO: DDP)
Touristenführer Volker Grasse posiert in Halle im Rahmen der sogenannten Stadtrundfahrt «Polizeiruf Halle» vor einem Kleinbus. (FOTO: DDP) ddp

Halle/ddp. - Den Polizeidienst hat Volker Grasse schon vormehr als 20 Jahren quittiert. Doch der 56-Jährige kommt offenbar vonseiner Berufung nicht los. Seit Frühjahr kutschiert er in einem altenMannschaftswagen der Polizei, einer «Berliner Wanne», wie er sagt,Touristen durch Halle. Stets unterwegs auf den Spuren der Toten.

In Zusammenarbeit mit einem privaten Reiseveranstalter bringtGrasse im alten Polizeibus, in dem maximal 15 Gäste Platz finden, dieSchaulustigen zu bekannten Tatorten der Stadt und der Umgebung. DieRundfahrt zeige ein Stück hallesche Kriminalgeschichte, sagt er.Authentische Mordfälle wie etwa der bekannte «Kreuzworträtselmord»stehen im Mittelpunkt der Reise.

Das Verbrechen an einem siebenjährigen Jungen aus Halle-Neustadtlöste 1981 eine der spektakulärsten Ermittlungen in derKriminalgeschichte aus. Der Fall gilt als der Kriminalfall mit derumfassendsten Auswertung von Schriftproben. Tausende Menschen inHalle-Neustadt mussten den Ermittlern «individuelleSchreibleistungen» abgeben, wie die Proben damals offiziell genanntwurden. An der Bahnstrecke von Halle nach Leipzig war damals dieLeiche des Jungen in einem Reisekoffer entdeckt worden, außerdembefanden sich im Gepäck noch Zeitungen mit ausgefülltenKreuzworträtseln. Die Schriftproben führten schließlich zum Mörderdes Jungen.

Langweilige Stadtführungen kenne jeder zur Genüge, meint KerstinKiefel, Ideengeberin und Veranstalterin der Tour. Nach dem Motto«Halle anders erkunden» verfolge ihr Unternehmen das Ziel,Stadtgeschichte spannend und unterhaltsam aufzubereiten. Dabei richtesich das Angebot auch an die Einheimischen. Die «Polizeiruf Halle»-Tour, so der Name der Rundfahrt, sei bislang einzigartig «von Dresdenbis Kassel», vermutet Kiefel. Sie räumt ein, die Tour sei eine«Gratwanderung» zwischen Unterhaltung und Kriminalgeschichte.

«Da bekommt man schon Gänsehaut», gesteht Rentnerin KarinSchneider aus Halle während der Bustour. Sie und ihr Mann Hans-Dieter seien «Krimi-Fans» und hätten die Reise geschenkt bekommen.Über die vielen Einzelheiten, die sie auf der Rundfahrt erfahrenhätten, seien sie «überrascht». Manche Details, beispielsweise überden «Kreuzworträtselfall», hätten sie noch nicht gekannt, obwohl sieals Hallenser mit dem Fall «emotional verbunden» seien.

«Ich war als Helfer bei der Auswertung der Schriftproben mitdabei», erzählt Hans-Dieter Schneider. Er habe aber damals nichtgewusst, um was genau gehe, sagt der 65-Jährige. Reiseleiterin Kiefelwendet sich in der «Berliner Wanne» mit dem Mikrofon ihren Gästen zu.Niemand solle das Gefühl bekommen, in Halle sei man nicht sicher,sagt sie und zitiert aus einer Kriminalstatistik. Das Risiko, «Opfereiner Straftat gegen das Leben zu werden, lag im vergangenen Jahr bei0,04 Prozent.» Gespannt lauschen die Bus-Gäste.

Auf die Idee mit der makabren Busreise sei sie gekommen, weil diebekannte ARD-Serie «Polizeiruf 110» meist in Halle spiele, sagtVeranstalterin Kiefel. Inspiriert habe sie zudem eine Stadtführung inMünster. Besucher könnten dort Rundgänge zu den Drehorten desARD-«Tatorts» buchen und selbst zum Kriminalisten werden, berichtetKiefel.

Bei der halleschen Tour im ausgedienten Polizeibus stehen dieFakten der Verbrechen aus verschiedenen Epochen im Blickpunkt. Grassefährt mit seinem Einsatzwagen unter anderem auch den «Mörderstein vonLieskau» an. Das Mahnmal wurde zum Gedenken an einen jungen Mannaufgestellt, der 1858 Opfer einer Verwechslung wurde.

Der 17-Jährige wurde von einem Auftragsmörder irrtümlicherschossen. «Die Geschichte wurde zum Meilenstein derJustizgeschichte und beschäftigt noch heute in Deutschland alleJurastudenten», sagt Kiefel. Fünf Stationen fährt die 1981 gebaute«Berliner Wanne» an. Busfahrer Grasse trägt dabei die Uniform einesDDR-Volkspolizisten. «Habe ich bei eBay ersteigert», sagt dergelernte Konditor. Er habe sich schon 1988 vom Polizeidienst in dieGastronomie zurück versetzen lassen. «Ich wollte immer zur Kripo,durfte aber nicht, und der Streifendienst war mir zu langweilig»,erklärt Grasse.