Halle Halle: Folter für die Fingerfertigkeit
HALLE/MZ. - Wie schafft es ein Pianist, dass sein Klavierspiel besonders virtuos erscheint? In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sich der bürgerliche Musikbetrieb zu etablieren begann, wurden allerlei Übungsapparate entwickelt, die die Fingerfertigkeit der Musiker erhöhen und ihre Technik verbessern sollten. Damit sollte mehr Brillanz und Virtuosität erreicht werden. In ihrer soeben eröffneten Schatzkammer-Ausstellung gibt die Stiftung Händel-Haus jetzt einen Einblick in solche Fleißmaschinen, die bisweilen auch als regelrechte Folterapparate betrachtet werden können.
In zwei Räumen werden wertvolle und zum Teil kuriose Zeugnisse der weitreichenden Erneuerungen im Instrumentenbau und der Übungsmethoden des 19. Jahrhunderts vorgestellt. Dabei widmet sich die Schau zugleich bekannten Musikern aus der damaligen Zeit, die mit diesen Maschinen Bekanntschaft schlossen. So versteht sich die Ausstellung auch als ein besonderer Beitrag zum Robert-Schumann-Jahr.
Die Leidensgeschichte Schumanns, dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr in vielfältiger Weise gedacht wird, hängt eng mit einem Apparat mit so genannter Cigarren-Mechanik zusammen. Schumann, der ohnehin Probleme mit dem Mittel- und Zeigefinger seiner rechten Hand hatte, ruinierte sich durch das Training an der Fleißmaschine die Finger derart, dass sie fast vollständig gelähmt waren. Dokumente, Handschriften und ein ärztliches Attest belegen das in der Schatzkammer-Ausstellung.
Die erste Erfindung war 1814 ein Chiroplast, eine Leiste, die man auf die Klavier-Tastatur legte mit Fingerschlitzen über den Tasten. "Das bringt durchaus Vorteile für einen Spielanfänger", erläutert Christiane Rieche, Kuratorin der Ausstellung. Deshalb sei damals die Begeisterung vieler bedeutender Musiker groß gewesen, wie beispielsweise eine achtseitige Lobes-Hymne von Carl Loewe belegt. Der preußische Staat habe den Chiroplast flächendeckend im Musikunterricht einsetzen wollen und eine Vorführung des Geräts in Berlin veranstaltet, zu der Loewe extra aus Stettin anreiste.
Während der erste Raum vor allem Schriftstücke und Druckerzeugnisse, inklusive extra auf die Apparate zugeschnittene Notenblätter zeigt, sind im zweiten Ausstellungsraum einige der "Folter-Instrumente" selbst zu sehen. Von einem privaten Sammler aus London stammt ein Ochydactyl, das erst 1925 vom Franzosen Georges Retif gebaut wurde. In diesen Apparat wurden die Finger zu diversen Übungen regelrecht eingespannt.
Auch eine stumme Klaviatur, die 1950 in Hannover entwickelt wurde, gehört zur Schau. Zudem wird gezeigt, dass Spieler von Saiteninstrumenten ebenfalls auf verschiedene mechanische Hilfsmittel zur Verbesserung der Fingertechnik zurückgreifen konnten. Das belegen beispielsweise stumme Violinen aus der Sammlung der Stiftung Händelhaus und ein stummes Violoncello, das aus der Instrumentensammlung in Markneukirchen zur Verfügung gestellt wurde.
An einer Wand wird zudem die Benutzung eines Fingerübungsbretts mit neun Stationen erläutert. "Dieses sollten die Musiker täglich 30 Minuten verwenden. Und das mindesten ein Vierteljahr lang", erklärt Christiane Rieche.
Wer glaubt, all die Apparate sind nur eine Angelegenheit aus der Vergangenheit, der irrt. Gezeigt wird das anhand einer Apparatur eines amerikanischen Musikers aus dem Jahr 2010, die man an einer Klavier-Tastatur befestigt. Beim Spiel drücken nicht die Finger, sondern kleine Kugeln auf die Tasten. "Der Erfinder Dmitri Niks ist der Meinung, dass man das Instrument damit regelrecht zum Singen bringen kann", sagt Christian Rieche.
In einem Video werden zudem Fleißmaschinen vorgestellt und ihr Nutzen beurteilt. Und wer selbst einmal das eine oder andere ausprobieren will, für den stehen einige Übungsapparate zur Verfügung.
Die Sonderausstellung ist bis Ende des Jahres im Händelhaus dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, ab November von 10 bis 17 Uhr zu sehen.