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Halle Halle: Ein konservativer Paradiesvogel

Von BERNHARD SPRING 20.07.2011, 18:49

Halle (Saale)/MZ. - Für George Hesekiel war die Schriftstellerei nur in zweiter Linie Kunst, in erster Linie aber ein Geschäft. Der Pfarrerssohn, der aus Halle stammte und in Berlin mit Theodor Fontane und dem späteren Nobelpreisträger Paul Heyse gern in Kneipen versackte, hatte mit 10 000 Talern einen immensen Schuldenberg angehäuft, den er aus seiner journalistischen Tätigkeit allein nicht abtragen konnte. Also schrieb er: Romane, Gedichte, Novellen: "Wozu Theodor Storm fünf Monate brauchte, dazu brauchte Hesekiel fünf Minuten", vermerkte Fontane anerkennend. Doch Hesekiel schrieb seine Texte einfach nieder, ohne sie noch mal zu korrigieren.

Und so war die Qualität seiner Werke eher umstritten. Einerseits strotzten seine Romane von Anekdoten, andererseits mangelte es ihnen an "Herzbewegendem", wie Heyse kritisierte. Ebenso umstritten wie sein Werk war der Autor selbst. Hesekiel aß gern, vor allem Makkaroni, zog gern um die Häuser und war von äußerster Unruhe erfüllt. Nicht zufällig wählte ihn Fontane als Reisebegleiter auf seinen berühmten märkischen Wanderungen aus.

Aber Hesekiel war bei allem Leichtsinn doch ein glühender Monarchist, ein konservativer Paradiesvogel inmitten eher liberaler Schriftsteller. Und zuletzt war es Hesekiel sogar gelungen, reich zu sterben. Nur sein literarischer Nachruhm blieb aus. Zwar bemühte sich Fontane, wenigstens Hesekiels "Halloren-Geschichten" in der öffentlichen Erinnerung zu bewahren, doch Paul Heyse dichtete 1889, zu Fontanes 70. Geburtstag: "Ihm (Fontane) nickte zu sein treuer Gesell, der blonde, fette Hesekiel". Geblieben ist also nur Spott - könnte man meinen. Doch hat der Hallenser etwas "erfunden", das seither weit verbreitet ist - und berüchtigt: Die Fantasie-Reportage.

Erster unechter Korrespondent

Theodor Fontane berichtet in seinem Rückblick "Von Zwanzig bis Dreißig" (1898) über George Hesekiel, der seit 1848 Mitarbeiter der Berliner "Kreuz-Zeitung" war: Hesekiel war dort zuständig für die Aufbereitung der Meldungen, die ein französischer Korrespondent aus Paris sandte. Damals war es üblich, dass der Absender anonym blieb und nur mit einem Symbol zeichnete. Der Pariser Korrespondent der "Kreuz-Zeitung" verwendete als Signum drei Sterne. Mit der Zeit aber sandte ein zweiter Reporter aus Frankreich Berichte, gezeichnet mit einer Lilie. Seine Meldungen waren präziser und detaillierter, weshalb er seinen Konkurrenten verdrängte.

In Berlin standen Redaktion und Leserschaft der "Kreuz-Zeitung" Kopf: Die Lilie galt als Zeichen der französischen Monarchie, zudem kannte sich der Korrespondent äußerst gut in französischen Adelskreisen aus. Meldete sich hier etwa ein Marquis anonym zu Wort? Zehn Jahre dauerte das Rätselraten um den Marquis, dann flog er auf: Verdächtig geworden war, dass er immer dann nicht schrieb, wenn George Hesekiel zur Kur in Karlsbad war. Doch seiner Leserschaft wollte Hesekiel dies nicht offenbaren. Also berichtete er, der geheimnisvolle Marquis kure alljährlich mit ihm gemeinsam. Schließlich meldete Hesekiel aus Karlsbad, der Marquis sei dort gestorben. Doch diese Geschichte war zu konstruiert: Der Schwindel flog auf und Hesekiel wurde als erster "unechter Korrespondent" entlarvt.

Lebemann mit Selbstironie

Fontane zeigte sich angesichts dieser Enthüllung belustigt. Und auch Hesekiel hat das Spiel mit dem erfundenen Marquis offensichtlich genossen: "Es wird sich ganz ernsthaft sagen lassen, dass Hesekiel an keiner seiner Romanfiguren auch nur annähernd so viel Freude gehabt hat wie speziell an diesem Kinde seiner Laune", vermerkt Fontane amüsiert.

Mindestens ebenso wie geistige Kreationen genoss Hesekiel die so genannten geistigen Getränke - und in gleichem Zug maßloses Essen und grobe Reden. Freilich war er auch ein Mann mit viel Selbstironie, was Fontane sympathisch fand. Aus einer losen Bekanntschaft mit dem Hallenser wurde ein berufliches Verhältnis, als Hesekiel den abgebrannten Fontane 1856 bei der Kreuz-Zeitung unterbrachte. Dort saßen sie Tisch an Tisch, schoben sich Zettel zu und verkehrten nach wie vor auch privat. Ab 1859 wanderten sie gemeinsam durch Brandenburg. Während Fontane die Reiseeindrücke in den fünfbändigen "Märkischen Wanderungen" festhielt, verfasste Hesekiel 19 "Märkische Romane". Vier Jahre nach Fontanes Ausscheiden aus der Kreuz-Redaktion (1870) starb Hesekiel.

Sein Werk hat die Zeit nicht überdauert. Aber auf bleibenden Erfolg dürfte es der Lebemann Hesekiel auch nicht angelegt haben. "Ich marchandiere nicht!" war sein Lieblingsspruch: Er feilschte nicht. Auch nicht um Nachruhm.