Halle Halle: Drewermann bricht Lanze für Luther
HALLE/MZ. - Dem einstigen Priester, der vor fast 20 Jahren wegen Differenzen mit der katholischen Kirche sein Amt verlor, eilt auch in Halle der Ruf voraus, einer der schärfsten und auch scharfsinnigsten Kirchen- und Gesellschaftskritiker der Gegenwart zu sein.
Diese Erwartung erfüllt der mittlerweile 70-Jährige voll und ganz. Anhand der Geschichte von Jesus im Lukas-Evangelium der Bibel spricht Drewermann über nichts Geringeres als die richtige Art zu leben - im Großen wie im Kleinen. "Was würde Jesus dazu sagen", lautet seine wiederkehrende Frage - gestellt gleichermaßen an jeden Einzelnen wie an die Politik. Dem Einzelnen überlässt der Referent die Antworten selbst, doch mit Blick auf die Politik fallen seine Antworten verheerend aus: Insbesondere die Auslandseinsätze der Bundeswehr kommentiert Drewermann mit einem so rigorosen Pazifismus, wie man ihn kaum einmal sonst noch zu hören kriegt.
Im Mittelpunkt stehen dann aber doch eher Glaubensfragen. Wobei der einstige Priester, der auch ausgebildeter Psychoanalytiker ist, den Begriff "Glauben" immer wieder durch "Vertrauen" ersetzt. Dies nämlich biete - anders als Glauben - keinen Nährboden für Orthodoxien und Fanatismus. Auch für Sünde hat Drewermann eine interessante Begriffsalternative: Verlorenheit. Und die hat für ihn mit einem weiteren Begriff zu tun, auf dem in seinem Gedankengebäude vieles fußt: Angst. Vertrauen sei aber dafür die Therapie, das Gegenprogramm zu Angst und Verlorenheit.
Etwa an dieser Stelle bricht der katholische Dissident als Gast im Land der Reformation eine Lanze für Luther - anhand von dessen berühmt-provokantem Satz: "Sündige tapfer!" Drewermann deutet ihn als Aufforderung, ruhig auch Fehler zu riskieren, statt aus lauter Angst vor Fehlern untätig zu bleiben. Womit er wieder beim Vertrauen angelangt ist - um dem Lutherland und der hier gastgebenden evangelischen Kirche im Vorfeld des Wittenberger Thesenanschlagsjubiläums einen großartigen Satz ins Stammbuch zu schreiben: "Der Protestantismus beginnt mit Vertrauen."
Die Hallenser lauschen diesem stockungsfrei und völlig aus dem Kopf gehaltenen, brillanten Vortrag des hageren, asketisch wirkenden Mannes fasziniert - aber immer wieder auch skeptisch. Es irritiert, wie atemlos Eugen Drewermann mit seiner Bußpredigt die Welt und ihre aktuellen Themen durcheilt. Es irritiert die Fülle, ja Lückenlosigkeit seiner Antworten und deren Gewissheit. Und es irritiert auch, dass Drewermann nie lächelt und die Unbedingtheit seiner Botschaft auch niemals mit einem Scherz mildert.
Doch zumindest im letzten Punkt gibt es am Ende noch Erleichterung in Form eines Gelächters. Mit Blick auf die benachbarte Adolf-von-Harnack-Straße hat Drewermann einen sehr akademisch klingenden Satz dieses berühmten Theologen von vor 100 Jahren zitiert. Lakonischer Schlusskommentar des Referenten: "Man soll von Jesus so reden, dass er selber es wenigstens verstehen könnte."