Halle-Bilder aus den 80-er Jahren Halle-Bilder aus den 80-er Jahren: Graue Diva macht Geschichte
Halle/Bonn/MZ. - In der Konsumkaufhalle steht die glückliche Mutter mit einem zufrieden drein schauenden, im Einkaufswagen sitzenden Kleinkind vor Warenfülle. So will es das offizielle DDR-Foto. Christian Borchert hingegen fotografierte das tägliche Bild beim Einkauf: den kritischen Blick auf ewig tropfende Milchtüten und den (meist misslingenden) Versuch, eine aus dem Plastik-Container zu fischen, die ihren Inhalt auf dem Weg in die heimische Küche nicht verliert.
Die Fotografin Helga Paris dokumentierte zwischen 1983 und 1985 den Verfall der Bausubstanz in Halle. Eine Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte stellt jetzt die staatstragenden Fotografen in der DDR Lichtbildnern gegenüber, die das wirkliche Leben dokumentiert haben - so wie Helga Paris. Sie fotografierte die Gesichter der Leute, die hier lebten. Einfache Menschen, die schön sind und nachdenklich, stolz und bescheiden - in jedem Falle liebenswert.
Am 10. Juli 1986 erhielt die Ost-Berliner Fotografin einen Brief von Willi Sitte, dem Präsidenten des Verbands Bildender Künstler. Der Hallenser bescheinigte der Künstlerin: ". . . was ich bisher von den Exponaten in die Hand bekam, halte ich für beachtliche Arbeiten, die natürlich ausstellenswert sind." Indes, die vorbereitete Präsentation (Plakate und Katalog waren bereits gedruckt) wurde auf Anordnung von SED-Bezirks-Chef Hans-Joachim Böhme verboten. Denn die die Bilder der Paris zeigten: Die Stadt war grau, die Luft schwer, der Fluss dunkel und der Händel auf dem Marktplatz versank in dichtem Chemie-Nebel.
Gezeigt wurden die Bilder von Helga Paris schließlich 1990. Die Schau "Häuser und Gesichter" in der Galerie Marktschlösschen wurde - als eine der ersten nach der Wende - zur meist besuchten, die es in dieser Galerie je gab. Das Buch zu dem Foto-Projekt erschien später unter dem Titel "Diva in Grau". Es erinnert an undichte Dächer, an das Chemie-Dreieck und an gute Freundschaften.
Von Letzterem kündet insgesamt die Ausstellung "Foto-Anschlag. Vier Generationen ostdeutscher Fotografen", innerhalb derer die Bilder von Helga Paris in Bonn zu sehen sind. Sie zeigt, was in DDR-Bildbänden nicht zu finden ist, was Fotografen unter Verzicht auf Verdienst und nicht ohne Risiko geschaffen haben.
Denn wären etwa die Kasernen-Bilder von Ulrich Kneise in die falschen Hände geraten - der Vorwurf der Wehrkraftzersetzung wäre ihm sicher gewesen. In Bonn sind die unter Aufsicht Flure blank bohnernden Männer jenen strahlenden Soldaten gegenübergestellt, die von Jungen Pionieren Blumen in Empfang nahmen. Heimlich dokumentierte Kneise Gewaltmärsche durch kniehohen Schlamm, ohnmächtig gewordene Soldaten auf Panzerübungsplätzen. Bilder, die jeder ehemalige NVA-Soldat im Kopf hat, bisher aber eben nur da.
Die Ausstellung ist konzipiert von dem Leipziger Professor Bernd Lindner. 300 Arbeiten zeigen Bilder von acht Fotografen aus vier Generationen: von Evelyn Richter (geb. 1930) und Arno Fischer (geb. 1927), Helga Paris (geb. 1939) und Christian Borchert (1942-2000); Margit Emmrich (geb. 1940) und Gerhard Gäbler (geb. 1952), schließlich Ulrich Kneise (geb. 1961) und Merit Pietzker (geb. 1971). Die Autorin Freya Klier nannte die Schau bei der Eröffnung ein Dokument eines wichtigen Teils "des ästhetichen Widerstands in einer Gesellschaft der Eingeschlossenen".
Die Ausstellung ist im Bonner Haus der Geschichte noch bis zum 25. August zu sehen.