Grafiker, Musiker und Autor Grafiker, Musiker und Autor: Dieser Hallenser führt mehrere Leben in einem

Halle (Saale) - Der Titel könnte in die Irre führen: „Verschwendete Jugend“ lautet er - und ist wohl eigens deshalb klein gedruckt, um dem in alter Holzstich-Technik gearbeiteten Coverbild des halleschen Grafikers Tobias Gellscheid nicht die Wirkung zu nehmen. Jene enorme Wirkung, die wohl auch der von hinten gezeigte Gitarrist empfinden mag, wenn er in einen Saal voller Fans blickt, die einfach außer sich sind.
Verschwendete Jugend? Mit der Erwägung, was da gemeint sein mag, ist man schon vor der Lektüre des Debütromans von Axel Kores mitten drin in dem von ihm erzählend heraufbeschworenen Getümmel: Jugend, klar - aber wer verschwendet da was? Spricht hier etwa die bürgerliche oder gar elterliche Instanz aus dem Titel - im Sinne von „Du verschwendest deine Jugend, sieh zu, dass endlich etwas aus dir wird!“?
Hallenser literarisch mit seinem ersten großen Projekt
Höchstens sehr unterschwellig oder gar unterbewusst mag derlei mitschwingen, denn der Hallenser, der hier literarisch mit seinem ersten großen Projekt hervortritt, schmeckt und kostet schon in diesem seinem Titel die Worte sehr genau ab - und findet ihre Doppelbödigkeit und Vielstimmigkeit heraus: Schließlich heißt - dem Anklang gemäß - „etwas verschwenden“ zu allererst auch, es „verwenden“. Und zwar schnellstmöglich, ehe dieses Verwendete, sprich auch Verschwendete unversehens verschwinden kann.
Wohlgemerkt, wir sind bei der Jugend, die bekanntlich nicht nachwächst - und nur schwerlich zu konservieren ist. Und damit wird der Titel des Buchs nun auch noch zum klaren Appell - wohl in dem Sinne, dass es gilt, im Leben endlich den Fuß von der Bremse zu nehmen! Wie und mit welchen Risiken, das kann man auf den 230 zuweilen fast atemlos erzählten Buchseiten miterleben: Kann es mit genießen und muss es immer mal wieder mit erleiden.
Adrette Langhaarfrisuren der Marke Beatles-Pilzköpfe
Und Axel Kores weiß, wovon er erzählt. Der Autor, echter Hallenser übrigens, hatte sich schon in der Wende-Zeit um 1989 - damals war er erst 14 - von der plötzlich so ungebremsten Jagd scheinbar fast aller Erwachsener nach den vermeintlichen Glücksgütern des Westens instinktiv angewidert abgewendet.
Und wie so viele Gleichaltrige in diesen turbulenten Jahren pubertierte er in Punk: Mindestens einen Tick schärfer also als die Generationen zuvor, die mit oft eher adretten Langhaarfrisuren der Marke Beatles-Pilzköpfe und mit etwas lauterer Musik auch schon Schrecken in den Reihen der Etablierten verbreitet hatten - was aus heutiger Sicht nur noch schwer zu erklären ist.
Axel Kores führt gewissermaßen mehrere Leben in einem
Seither also kennt sich Kores in den Subkulturen aus, trägt sie teils mit - und kann sie doch auch distanziert von außen betrachten: Was einerseits seine Erzählwucht und anderseits den analytischen Blick, den sein Buch offenbart, erst ermöglicht haben dürfte. Denn Axel Kores führt gewissermaßen mehrere Leben in einem, ist Vater von schon erwachsenen Zwillingen, hat ein Studium an der halleschen Kunsthochschule Burg Giebichenstein absolviert und einige Jahre in einer Leipziger Agentur als Grafiker gearbeitet.
Inzwischen arbeitet er frei, um sich „endlich“ auch frei für anderes zu machen. Zum Beispiel für seine Band „Klinke“, mit der er tourt, was ihn unter anderem in die Lage versetzt, unterwegs zu schreiben. Was man seinem Text übrigens fast anmerken kann: Dass er ihn nämlich nicht in der gemütlichen Dichterstube oder gar im Elfenbeinturm hat wachsen lassen. Vielmehr ist das Buch von rasanten Ausbrüchen getragen, von Wortkanonaden durchzogen, aber dennoch präzise und sicher im Ton formuliert.
Axel Kores: „Die größte Dummheit ist es, sich zu schonen.“
Gutes Rüstzeug dies alles, um Helden aus einer Subkultur gerecht zu werden, die sich ohne Fangnetze und Leitplanken aus der Welt der Üblichkeiten und Sicherheiten hinausbewegt haben. „Containern“ sei ein Überbegriff dafür, sagt Kores. Doch dass es auch loslegen, loslassen und losleben bedeutet - und wie - das gibt es in seinem Roman zu lesen. Und die Moral von der Geschicht’ gleich noch mit dazu. Sie lautet: „Die größte Dummheit ist es, sich zu schonen.“
››Axel Kores, „Verschwendete Jugend“, Edition Outbird, 11,90 Euro. (mz)