"Gesichter von Halle": Harald Meller "Gesichter von Halle": Harald Meller: Raus aus dem Elfenbeinturm

Halle (Saale) - Seinen Terminkalender führt Archäologie-Professor Harald Meller noch auf die gute alte Art – auf Papier und handschriftlich nämlich. „So behalte ich am besten den Überblick“, sagt der Chef des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle und Direktor des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie, der sonst sehr wohl ein computeraffiner Mann ist und etwa Videos von Gesprächen mit Wissenschaftskollegen ins Internet stellt.
Die Spalten in Mellers Agenda sind dicht gefüllt. Der – wie er selbst sagt – „Nacht- und Langarbeiter“ kommt locker auf ein Wochenpensum von 80 und mehr Stunden. „Ich merke das gar nicht so, weil ich den schönsten Job der Welt habe und mich abends gern noch mit Forschern aus aller Welt zum Gedankenaustausch treffe.“er ich muss aufpassen: Wenn ich mich nicht ab und zu für ein Wochenende rausnehme, um auf Spaziergängen oder jetzt im Winter auf Skitouren den Kopf ,durchzulüften“, laufe ich Gefahr, die gebotene Distanz zu den Dingen und auch den Überblick zu verlieren.
Der heute 55-Jährige ist ein Mensch voller Neugier und Leidenschaft. Mit spektakulären Schauen wie etwa „Der geschmiedete Himmel“, „Elefantenreich“ oder „Pompeji“ hat er das Landesmuseum für Vorgeschichte zu einem Besuchermagneten allerersten Ranges und Halle zu einer Top-Adresse auf der internationalen Landkarte gemacht. Und Menschen für Archäologie zu begeistern vermocht, denen die Zeugnisse aus dem Leben unserer Vorfahren bis dato herzlich egal waren.
„Ich will raus aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft und buchstäblich jedermann ganz greifbar vor Augen führen, wie sehr die Geschichte dieser ,vergessenen Menschen ohne Schrift’ unser Leben bis zum heutigen Tage beeinflusst: Warum sind wir so, wie wir sind, und handeln so, wie wir handeln?“, erläutert Meller. Dabei sei es „wichtig, die Leute dort abzuholen, wo sie sind, und ihnen mit assoziativen Bildern das Richtige nahezubringen – auch wenn ich mich damit dem absurden ,Vorwurf’ aussetze, Wissenschaft zu popularisieren und simplifizieren“. Ihm komme es auf die Tiefe der Bilder an: „Du kannst dich eine oder hundert Stunden mit unserer Ausstellung beschäftigen – beides ist okay.“
Zur Archäologie gekommen ist der im oberbayrischen Olching geborene Meller „auf die ganz klassische Weise: Ich hab mich für die alten Griechen begeistert. Meine Exemplare von ,Ilias’ und ,Odyssee’ waren schon ganz zerfleddert vom häufigen Lesen. Ab meinem 14. Lebensjahr habe ich meinem Nachbarn, einem promovierten Paläontologen, bei Ausgrabungen assistiert und schließlich 1981 in München ein Archäologiestudium begonnen.“
Mehr Hallenser Persönlichkeiten finden Sie in der Porträt-Serie "Gesichter von Halle", welches als Buch seit dem 1. Dezember 2015 in den MZ-Service-Centern am Markt und in der Delitzscher Straße 65. Preis: 14,90 Euro erhältlich ist.
Nach ersten beruflichen Stationen in Köln sowie Sachsen kam Meller 2001 als neuer Direktor des Landesmuseums nach Halle. Und stand gleich 2002 im Zentrum medialer Aufmerksamkeit: Als so genannter „Lockspitzel“ der Polizei hatte er in einem Basler Hotel entscheidenden Anteil daran, die Himmelsscheibe von Nebra, einen der bedeutendsten archäologischen Funde der Epoche, der Hand von Raubgräbern zu entreißen.
Meller weiß um seine Bedeutung, auch für den Tourismus Sachsen-Anhalts. „Allein zur Pompeji-Ausstellung kamen, beinahe schon schubkarrenweise, 300 000 Besucher.Jeder Euro, den man in unsere Arbeit reinsteckt, kriegt man mindestens doppelt wieder raus.“ Dennoch will er keine öffentliche Person sein. Seitdem er im Zuge des Gerichtsprozesses um die Himmelsscheibe anonyme Drohungen erhielt, schützt Meller seine Privatsphäre nur noch konsequenter. Lediglich, dass er eine Tochter habe und mit seiner Lebensgefährtin „eher so WG-ähnlich“ in einem großflächigen, mit Büchern vollgestopften Domizil im Mühlwegviertel wohne, ist zu erfahren. (mz)