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Geschichte Geschichte: Anklage lautet Gotteslästerung

Von SILVIA ZÖLLER 26.06.2012, 19:23

Halle (Saale)/MZ. - Eigentlich hatte er in seiner Jugend eine Bilderbuch-Karriere hingelegt, doch seine politisch und theologisch unbequemen Ansichten brachten den Pfarrer Gustav Adolf Wislicenus (1803-1875) schließlich vor den Kadi in Halle. Wegen Gotteslästerung wurde der Prediger der Laurentiusgemeinde 1853 vor dem Kreisgericht Halle angeklagt. Und auch wenn er im Punkt Gotteslästerung freigesprochen wurde, so brummte ihm der Richter eine zweijährige Gefängnisstrafe wegen Verspottung der Bibel auf und ordnete die Vernichtung seines Buches "Die Bibel im Lichte der Bildung unser Zeit" an. Angesichts des Urteils flüchtete Wislicenius nach Amerika.

Der gebürtige Eilenburger wurde früh Waise und kam so in die Franckeschen Stiftungen nach Halle. Er studierte hier ab 1821 Theologie und geriet durch seine Mitgliedschaft in der geheimen Burschenschaft "Jünglingsbund" mit dem Gesetz in Konflikt. Er wurde zu einer zwölfjährigen Gefangenschaft auf der Festung Magdeburg verurteilt, aber nach fünf Jahren begnadigt, berichten die Magdeburger "Blätter für Handel, Gewerbe und sociales Leben" in einem Beitrag 1876.

Erst nach der Haft beendete Wislicenus sein Theologiestudium, nach einer Pfarrstelle bei Querfurt kam er 1841 mit seiner Frau und vier Kindern nach Halle. Und er lehnte sich in seinen theologischen Standpunkten sehr weit zum Fenster hinaus: "Wir wollen keine abgeschlossene kirchliche Konfession, sonder ein freie, menschliche Gesellschaft", schrieb er damals auf. Nicht die Bibel, sondern eigene Erkenntnis, Bildung und Wahrheit waren die Ziele der Köthener freireligiösen "Lichtfreunde", denen er sich 1844 anschloss und so in Konflikt mit der evangelischen Kirche kam. 1845 folgte seine Suspendierung, woraufhin Wislicenus die "Freie Gemeinde Halle" gründete.

Doch damit zog er natürlich gerade erst den Unmut auf sich: Die Versammlungen der Gemeinde wurden vom Magistrat verboten - dennoch trafen sich deren Mitglieder regelmäßig an Sonntagen. Ein Statut gab es nicht, Geldbeiträge waren freiwillig und kirchliche Feste wurden nicht gefeiert.

Politisch engagierte sich der Pfarrer im Rahmen der 1848er Revolution für die Einheit Deutschlands, für Demokratie und wurde Vorsitzender des in Halle gegründeten "Demokratischen Volksvereins". Er zog sogar als Abgeordneter in das Vorparlament in Frankfurt ein, von wo er jedoch enttäuscht zurückkam: "Die Nationalversammlung wurde aufgelöst und eine Verfassung von der Krone gegeben. Die Demokratie hat eine Niederlage erlitten", schrieb er 1848 in einem Aufsatz.

1875 starb der kämpferische Pfarrer in seiner Wahlheimat Zürich, wo er sich nach seiner Rückkehr aus Amerika niedergelassen hatte.