Entgegen Stadtratsbeschluss Entgegen Stadtratsbeschluss: Vor 70 Jahren wurden das Alte Rathaus abgerissen

Halle (Saale) - Im Herbst 1950 wurde der Abriss des nahezu unversehrten Barockflügels des Alten Rathauses in Halle abgeschlossen, obwohl die Stadtverordnetenversammlung dessen Erhalt bereits 1949 beschlossen hatte. Aus Anlass des 70. Jahrestages dieses Ereignisses hat der Professor em. für Kunstgeschichte an der Universität Halle-Wittenberg, Dieter Dolgner, den nachfolgenden Gastbeitrag verfasst, der gekürzt veröffentlicht wird.
In nördlicher Verlängerung der Großen Märkerstraße nahmen seit dem Mittelalter das Rathaus, die Ratskapelle zum Heiligen Kreuz und das Waagegebäude an städtebaulich exponierter Stelle die Ostseite des halleschen Marktplatzes ein. Von 1702 bis 1705 erweiterte man den Gebäudekomplex entlang der Leipziger Straße um den sogenannten „Barockflügel“, und von 1928 bis 1930 entstand als moderner Funktionsbau der Ratshof.
Luftangriff vom 31. März 1945
Der Luftangriff vom 31. März 1945 zog auch die Gebäude der Stadtverwaltung in Mitleidenschaft. Teile wurden zerstört und teilweise schwer beschädigt, andere blieben fast unversehrt, darunter der Barockflügel an der Leipziger Straße. Ratskapelle und Loggia waren trotz der Schäden noch in einem stabilen Zustand.
Nun galt es, die Trümmerwüste zu beseitigen und die Baulücke zu schließen. Doch über das Wie gab es konträre Meinungen: Favorisierten die einen den denkmalgerechten Wiederaufbau des Rathauses, plädierten andere für den Totalabriss und ein „neues Bauwerk aus dem Geiste unserer Zeit“. Landeskonservator Wolf Schubert engagierte sich als Sprecher der Denkmalpflege.
Jury bevorzugte weder die Rekonstruktion noch Abriss und Neubau
Die Gegenseite - Stadtbaurat Adolf Heilmann und die Direktoren der Kunstschulen in Weimar und Halle Hermann Henselmann und Hanns Hopp - forderte dagegen die Neubebauung und Umgestaltung des Marktplatzes. Zu diesem Zwecke wurde am 9. Juli 1947 ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben, zu dem bis zum 9. November 1947 insgesamt 112 Beiträge eingegangen waren.
Die Jury indes bevorzugte weder die Rekonstruktion der alten Gebäude noch Abriss und Neubau, sondern nahm jene Entwürfe in die engere Wahl, die eine Verbindung von Alt und Neu versucht hatten. Der erste Preis ging an die Berliner Architekten Hans und Wassili Luckhardt. Die Mehrzahl der Wettbewerbsteilnehmer sah indes den Erhalt des unbeschädigt gebliebenen Barockflügels vor.
Votum wurde nach dem Muster sozialistischer Demokratie ignoriert
Allerdings ignorierte man in Halle in dümmlicher Arroganz den Juryspruch und bestand auf Totalabriss und Neubau an historischer Stelle. Am 9. Februar 1948 beschloss die Stadtverordnetenversammlung - vorerst noch mit Ausnahme des Barockflügels - den Abbruch des Rathauses, der noch im gleichen Jahr erfolgte. Man war auf die rasche Schaffung vollendeter Tatsachen bedacht, denn zahlreiche Stimmen verurteilten den böswilligen Zerstörungseifer: die Denkmalpflegebehörden, der Architektenbund, der Verband bildender Künstler.
Auch ein zweiter, im Herbst 1949 ausgeschriebener Wettbewerb brachte keine Lösung, wirkte aber wie ein Weckruf: Als die Vertreter der SED in einer Stadtverordnetenversammlung am 19. Dezember 1949 den Antrag auf Abriss des barocken Rathausflügels stellten, stimmte die Mehrzahl dagegen. Das Votum aber wurde nach dem Muster sozialistischer Demokratie ignoriert und am 10. Juli 1950 der Auftrag für den Abbruch erteilt, der trotz aller Proteste noch im gleichen Jahr als eine willkürliche, eindeutig widerrechtliche und ungesetzliche Handlung erfolgte. (mz)