Drogenkonsum in Halle Drogenkonsum in Halle: Der Kampf gegen die Sucht

Halle (Saale) - In die beiden Suchtberatungsstellen der Arbeiterwohlfahrt (AWO) kamen im vergangenen Jahr so viele Betroffene, wie lange nicht. Im Interview erklärt Carsten Brandt, Einrichtungsleiter der Stellen in Halle und Querfurt, wie er die Entwicklung der Zahlen sieht und warum er Crystal nicht so ohne weiteres als gefährlichste Droge einstufen würde. Mit ihm hat sich MZ-Mitarbeiter Oliver Müller-Lorey unterhalten.
725 Betroffene haben Hilfe in Ihrer Beratungsstelle gesucht - so viele wie in den vergangenen fünf Jahren nicht. Ist das ein gutes oder schlechtes Zeichen?
Brandt: Für uns ist das ein gutes Zeichen weil die Menschen überhaupt einmal zu uns finden. Aber natürlich erreichen wir immer nur einen kleinen Teil der Betroffenen. Wir machen Erfolg oder Misserfolg an den sogenannten Erstkontakten fest, also Menschen, die noch nie bei uns in der Beratung waren.
Und wie viele Erstkontakte hatten Sie?
Brandt: Etwa die Hälfte unserer Besucher war im vergangenen Jahr zum ersten Mal bei uns. Und besonders unter den jungen Cannabiskonsumenten kam ein Großteil zum ersten Mal in unsere Einrichtungen.
Aber wäre es nicht besser, wenn weniger neue Süchtige kämen und stattdessen mehr alt bekannte Gesichter, die Sie schon lange und kontinuierlich betreuen?
Brandt: Natürlich ist es auch ein Erfolg, wenn die Betroffenen wieder zu uns kommen. Für sie ist es sehr schwer, durchzuhalten. Sie schwanken zwischen dem Willen zur Veränderung und ihrem bisherigen Leben. Diese Ambivalenz wollen wir auflösen. Sucht ist eine chronische Erkrankung und Rückfälle sind eher die Regel als die Ausnahme.
Wegen welcher Drogen kommen die Betroffenen am häufigsten zu Ihnen?
Brandt: Ein Dauerbrenner ist der Alkohol. Etwa die Hälfte der Betroffenen, das sind 405, kommen deshalb zu uns. Alkohol ist eben auch ständig verfügbar.
Und welche Tendenzen können Sie bei den anderen Drogen ausmachen?
Brandt: Wir hatten 59 Klienten, die sich wegen einer Cannabis-Abhängigkeit bei uns gemeldet haben.
Das klingt im Vergleich zu 405 nach nicht viel!
Brandt: Das denken Sie! Im vergangenen Jahr waren es nur 24.
Die Zahl derer, die in den Suchtberatungsstellen der AWO Hilfe suchten, stieg in der Vergangenheit fast kontinuierlich an. Kamen im Jahr 2010 noch 691 Besucher, stieg die Zahl bis 2014 auf 725 Betroffene. Nur im Jahr 2011 gab es ein kleines Minus von gerade einmal sechs Personen, die weniger kamen.
Bedeutend höher ist die Zahl der durchgeführten Beratungen, da die Betroffenen mehrfach in die Anlaufstellen kommen: Im Jahr 2014 gab es in Halle und dem Saalekreis 2.795 Beratungen, vor fünf Jahren nur 2.656. Auffällig ist, dass vor allem Männer den Weg in die Beratungsstellen finden. 492 der Süchtigen waren männlich, nur 154 weiblich. Damit setzt sich der Trend, der auch in den Jahren zuvor sichtbar war, fort. Ebenfalls große Differenzen gibt es beim Alter der Betroffenen. Dabei zeigt sich: Vor allem ältere Süchtige lassen sich beraten. Die meisten Abhängigen - 155 Personen - sind zwischen 46 und 55 Jahre alt. Auf Platz zwei ist die Altersgruppe zwischen den 36- und 45-Jährigen. 34 Minderjährige kamen 2014 in die Stellen der AWO.
Hauptproblem sind vor allem die legalen Drogen, also Tabak, Medikamente und allen voran Alkohol. 426 Personen, denen diese legalen Drogen über den Kopf gewachsen sind, suchten 2014 Hilfe. Dagegen gab es nur 138 Personen, die von illegalen Drogen, wie Heroin, Kokain, Halluzinogenen oder Cannabis loskommen wollten. In den Beratungsstellen wird auch Menschen geholfen, die an Essstörungen, einem exzessiven Medienkonsum oder Glücksspielsucht leiden.
Der Anstieg der Betroffenenzahl von 2014 relativiert sich dahingehend, wenn man die Auflagenquellen für das Aufsuchen einer Drogenberatungsstelle anschaut. Laut Carsten Brandt handelt es sich in 15 bis 20% der Fälle um außerjustizliche Vermittlungen wie Empfehlung durch das Jobcenter, den Arbeitgeber oder zur Aufnahme für die MPU-Prüfung. Unter der Kategorie "vermittelt durch Justiz" waren 53 der 725 Menschen betroffen. Das liegt noch unter 10%. Ein weiterer Grund für den Anstieg der Zahlen ist das im Jahr 2014 gestartete Präventivprojekt FReD - "Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten". Dieses deutschlandweite Sonderprojekt motiviert Jugendliche und junge Erwachsene an Kursen teilzunehmen, die mit dem Drogenkonsum frühzeitig auffällig werden. Der statistische Jahresbericht für 2014 wird im April von der AWO veröffentlicht.
Sie sagten, dass Alkohol ständig verfügbar sei. Müsste man bei einer Legalisierung von Cannabis, wie sie von vielen gefordert wird, nicht befürchten, dass die Zahlen dann auch hier rasant steigen?
Brandt: Ich glaube die Kriminalisierung der Konsumenten ist eher das Problem. Wie damals zu Zeiten der Prohibition in den USA. Menschen wie Al Capone hat es doch deswegen erst gegeben. Es ist ein Irrglaube, dass Verbote vom Konsum von Drogen abhalten.
Also hat nicht jeder Cannabis-Konsument automatisch auch ein Problem, so lange er nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommt?
Brandt: Richtig. Und das gilt übrigens auch für alle andern Drogen.
Alle? Aber wer auch nur ein einziges Mal Crystal konsumiert, hat doch schon ein Problem, oder etwa nicht?
Brandt: Nein, wieso denn? Crystal, das in den Medien immer mit dem Zusatz „Horror“ verteufelt wird, macht nicht unbedingt beim ersten Konsum abhängig. Die Dynamik ist allerdings sehr hoch. Das ist vergleichbar mit einer Lokomotive, die gemächlich anfährt. Und bei Crystal beschleunigt diese Lokomotive sehr schnell.
Also ist Crystal doch gefährlicher als andere Drogen?
Brandt: Ein solches Ranking halte ich für nicht sinnvoll. Das ganze Thema ist sehr komplex. Fakt ist, süchtiges Verhalten, egal um welche Abhängigkeit es sich handelt, bringt dramatische Folgen mit sich. Wann Betroffene eine Leidensdruck entwickeln ist individuell sehr unterschiedlich. Was man aber sagen kann ist, dass Crystal schneller süchtig macht, als etwa Alkohol und im Kopf auch schneller wirkt. (mz)
