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Die Mündung der Weißen Elster Die Mündung der Weißen Elster: Finale mit Bekassinen und Moderlieschen

Von Hans-Ulrich Köhler 07.08.2016, 08:51
Urwaldfluss am Rande der Großstadt: An dieser Stelle hat es die Weiße Elster nach 245 km gleich geschafft. Noch 50 m und dann mündet sie im Süden von Halle in die Saale.
Urwaldfluss am Rande der Großstadt: An dieser Stelle hat es die Weiße Elster nach 245 km gleich geschafft. Noch 50 m und dann mündet sie im Süden von Halle in die Saale. huk

Halle (Saale) - Sitz, Lilli! Frau Dobermann hört Sighard Focke aufs Wort und hockt sich artig auf die Schafsbrücke. Sie ist die letzte Brücke, die die Weiße Elster vor ihrer Mündung überspannt. 1.000 Meter später endet in Halles Süden ihr Lauf in der Saale. Unter den vier Bögen der 1733 erbauten Brücke gurgelt das Elster-Wasser laut wie ein Gebirgsbach. Flach ist der Fluss jetzt, denn die Natur spielt gerade nicht verrückt.

Sighard Focke kennt das auch anders. Der 56-Jährige wohnt oben am Hang in der Elsterstraße und weiß, wie dramatisch es hier aussieht, wenn bei Hochwasser aus Saale und Weißer Elster in der Aue ein einziger See wird. Der reicht dann von der Schafsbrücke in Halle-Ammendorf bis fast hinüber nach Buna.

Das Mündungsgebiet der Weißen Elster ist ein natürliches Überflutungsgebiet. Leute vom Fach sagen, ohne diese weite Auenlandschaft würde Halle noch viel stärker vom Hochwasser bedroht werden. Wie 2013. Sighard Focke legt die rechte Hand auf die Mauer der etwa sechs Meter hohen Brücke: Dort habe die Elster gestanden, der höchste Pegel seit 400 Jahren, hieß es damals.

Hund und Herrchen sind täglich hier unterwegs. Die Saale-Elster-Aue ist ihr Revier. Focke liebt es wegen der Stille und weil alles hier dem Lauf der Dinge überlassen wird. Das Gebiet um die Elstermündung ist Teil eines großen Naturschutzgebietes, das östlich von Schkopau beginnt und an der Mündung der Weißen Elster endet, gut 900 Hektar groß.

Zur Mündung laufen? Focke winkt lachend ab. Da käme nicht mal seine Lilli durch. Wie Urwald, sagt er und wünscht viel Glück beim Weg zur Mündung. Die beiden machen sich auf zu einem unscheinbaren Hügel mitten in der Aue. Der ist keine drei Meter hoch, aber liefert den Stoff für eine uralte Hochwasser-Legende.

Ein Hirte mit seiner Ziegenherde wurde von den Fluten überrascht. Oben auf dem Hügelchen überstanden sie das Wasser und der Berg hatte seinen Namen weg: Ziegenberg.

Die Mündung der Weißen Elster: Trinkwasserschutzgebiet für Halle

Steht man oben drauf, fallen einem zahlreiche pfahlartige Gebilde ringsum auf. Sie signalisieren, dass die Elster auf ihren letzten Metern durch ein wichtiges Trinkwasserschutzgebiet für Halle fließt.

Das hat Tradition. 1868 wurde hier das erste Wasserwerk gebaut, denn die Geologie meint es in der Gegend gut mit Wasserproduzenten. Eine drei bis fünf Meter mächtige Grundwasserschicht durchzieht die Aue. Aus 240 Brunnen könnte bei Bedarf Trinkwasser ins Wasserwerk Beesen gepumpt werden.

Aber das wurde - einst das modernste im Osten - 2007 abgeschaltet und ist nun ein Reservist für den Fall der Fälle. Das Trinkwasser für Halle kommt heute aus dem Harz.

Kurz hinter dem Wasserwerk scheitern alle Versuche, die Mündungsspitze der Elster zu Fuß zu erreichen, Focke hatte recht. Kein Durchkommen. Die Disteln und Brennnesseln wuchern mannshoch und haben sich mit Gestrüpp zu einer undurchdringlichen grünen Mauer verbunden.

In Augenhöhe hängt Treibgut aller Art in den Ästen: Gras, Buschwerk, Holz, alles übrig vom letzten Hochwasser, viele Baumstämme sind unten erdbraun gefärbt. Was hier fällt, bleibt liegen, was hier wuchert, wuchert solange, bis der Natur die Puste ausgeht, ein Idyll. Nicht stören, Abmarsch.

Es ist verrückt: Die Großstadt ist keine fünf Minuten entfernt und hier findet sich ein Ort, zu dem man, jedenfalls nicht ohne Schaden zu nehmen, nicht laufen kann. Im Auendickicht kann man sich für einen Moment schon mal wie auf Safari in Afrika vorkommen.

Aber in Ammendorf ist es wie in Botswana: Tiere bekommt man so ohne weiteres nicht zu Gesicht. Dabei wimmelt es hier nur so davon, und auch die Pflanzenvielfalt ist in dieser Flusslandschaft überwältigend groß.

Aber der Neugierige muss sich auskennen, will er hier was erkennen. Die Knoblauchkröte - gut bekannt aus den Medien als Aufschwung-Bremser - hüpft hier umher. Aber wie sieht sie aus, tauchte sie plötzlich an der Elster auf? Und wem ist schon die Sumpf-Wolfsmilch vertraut, der Kantige Lauch oder der Große Wiesenknopf? Was kann man sich unter Bekassinen, Limikolen und Moderlieschen vorstellen? Auflösung: Die ersten beiden sind Vögel, das Lieschen ein Fisch.

So bewerten Naturschützer die Bedeutung der Elster-Mündung in Halle

Andreas Liste weiß das natürlich ohne zu googeln. Er steht an der Spitze des Vereins „Arbeitskreis Hallesche Auenwälder“. Der wirft ein waches Auge auf Halles Flussnatur und steht immer mal wieder im Clinch mit allen, die mit neuen Verkehrsbauten oder zu viel Tourismus das Paradies stören.

Liste schwärmt von großen Schutzkonzepten, in deren Entwicklung die wissenschaftlichen Einrichtungen des Landes viel stärker einbezogen werden sollten. Denn die Artenvielfalt, so Liste, sei in der Elster-Saale-Aue einzigartig, als Vogelschutzgebiet hat sie europäischen Rang.

Das Geheimnis dafür ist einfach: Es gibt hier verhältnismäßig viel Platz, die Tiere kommen sich nicht ins Gehege und alle finden was zum Fressen. Und: Schon zu DDR-Zeiten wurde das Areal in Sichtweite der Karbidschlote von Buna in Ruhe gelassen. Die Natur machte, was sie wollte, trotz Dreck.

Unterhalb der Silberhöhen-Wohnblocks im Wohnpark Elsteraue wird das Ende der Weißen Elster amtlich markiert: eine Null auf einem weißen Schild. So sollte es jedenfalls sein. Zu finden ist es nicht im Disteldickicht.

Es könne gut sein, sagt eine Dame vom Landesbetrieb für Hochwasserschutz auf Nachfrage, dass es weg ist. Das werde gern geklaut. Das Schild drüben am rechten Saaleufer ist zu groß zum Stehlen. Es weist von Norden kommenden Booten den Weg: rechts in die Saale.

Für Bootstouren links in die Mündung der Weißen Elster gibt es strenge Auflagen. Nur in ausgewählten Monaten darf rein gepaddelt werden, an Land gehen ist verboten. Der Wegweiser an der Saale-Spitze lässt indes grübeln. Mitten im Auen-Urwald ist für ein paar Meter rings ums Schild alles exakt gemäht - so will es die Vorschrift. Denn die Saale ist eine Bundeswasserstraße und da muss natürlich Ordnung herrschen. Vom Boot aus lässt das Wasser - und Schifffahrtsamt regelmäßig mähen.

Gegenüber, auf der Silberhöhen-Seite der Weißen Elster, liegt ein beliebter Anglerplatz, quasi im Grenzland. Denn das Naturschutzgebiet ist keinen Steinwurf entfernt. Hier schwimmen bedrohte Arten wie der Kaulbarsch oder die Schmerle umher.

Fischer machen an der Elster-Mündung gute Beute

Ronny Wallenfang fischt hier regelmäßig. Karpfen ist erlaubt, sechs Karpfen haben er und seine Freunde an diesem Tag schon rausgezogen. Wie groß? Das möchte er nicht geschrieben wissen, deutet es aber an: Er bewegt die Hände hüftbreit auseinander. Wirklich? Wirklich! Aber die setzten sie sofort wieder zurück ins Wasser, sagt Wallenfang und lädt zur Schlauchbootfahrt ins Mündungsgebiet ein.

Drüben, von der Saale aus, kann man die Elster glatt übersehen. Denn direkt vor ihr drängt sich das Stille Wasser noch rasch in die Mündung. Das ist ein Flüsschen, das acht Kilometer zuvor bei Döllnitz beginnt und hier - breiter als die Elster - mit ihr gemeinsam in die Saale fließt.

Ein Stück flussaufwärts, noch mitten in der Aue, heißt das Stille Wasser dann plötzlich Gerwische. Warum? Weiß keiner so recht. Es ist eben so in dieser grandiosen Auenlandschaft, wo die Flüsschen, die die Elster auf ihren letzten Kilometern begleiten, schon mal Steinlache oder Gessert heißen.