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Die Stasi-Akte Genscher in Halle Die Akte der Stasi zu Hans-Dietrich Genscher in Halle: Spitzel-Aufwand gegen den Staatsfeind

Von Silvia Zöller 07.03.2018, 07:00
1976 spazierte Hans-Dietrich Genscher mit seiner Frau Barbara am Saaleufer in Richtung Kröllwitzer Brücke. Die Stasi folgte ihm auf Schritt und Tritt.
1976 spazierte Hans-Dietrich Genscher mit seiner Frau Barbara am Saaleufer in Richtung Kröllwitzer Brücke. Die Stasi folgte ihm auf Schritt und Tritt. BSTU

Halle (Saale) - Hans-Dietrich Genscher, geboren in Reideburg bei Halle und 1952 in den Westen übergesiedelt, war der Staatssicherheit der DDR suspekt: Auf über 1 000 Seiten sind Genschers Besuche in Halle dokumentiert.

Doch schon im Vorfeld der insgesamt 13 Besuche von 1974 bis 1989 hat sich die Stasi mächtig ins Zeug gelegt: In Lieskau wurden neun konspirative Wohnungen und Stützpunkte für Spitzel eingerichtet, zudem waren drei „operative Kräfte“ im Einsatz. Der Grund: In Lieskau lebte damals ein Cousin Genschers, den er praktisch bei jeder seiner Reisen nach Halle besuchte.

Genscher in Halle: Stasi-Akten zeigen immensen Aufwand

Die Stasi, so zeigen Akten der Unterlagenbehörde, hat so gründlich gearbeitet, als ob Genscher der Staatsfeind Nummer eins wäre. Eine „Einschätzung der politisch-operativen Lage in der Gemeinde Lieskau“ wird zahlreichen Akten über Genscher beigelegt. „Rechtswidrig Ersuchende auf Übersiedlung sind in der Gemeinde nicht wohnhaft“, heißt es da etwas sperrig.

In Vorbereitung des Genscher-Besuchs im Mai 1982 wird der Ort zum Beobachtungsposten ausgebaut: Verwandte von Genscher wollen heiraten und haben den BRD-Außenminister eingeladen. Neun „komplexe Stützpunktsysteme“ werden installiert, um den Polterabend und die Hochzeitsfeier in der Lieskauer Gaststätte Friedenseiche zu beobachten. Im Hort, im Tanklager der NVA, in einer leerstehenden Wohnung, gegenüber der Gaststätte sitzen Spitzel auf Beobachtungsposten.

Stasi-Akten zu Genscher in Halle: Auch bei der Hochzeit sitzen IMs mit am Tisch

Und auch bei der Feier selbst sitzen IMs mit am Tisch. Die Sorge der Stasi: „Verhinderung von Kontaktaufnahmen zum Genscher und seiner Begleitung durch politisch-negative Kräfte“, so die Akten. Besonders perfide war, dass Genscher wie immer auch bei diesem Besuch im Interhotel übernachtete, für die Zeit seines Aufenthaltes aber ein Stasi-Führungsoffizier als Hoteldirektor eingesetzt wurde. Ein weiterer IM hatte als Kellner nur eine einzige Aufgabe: „das tägliche Programm des Genscher in Erfahrung bringen.“

Insgesamt 13 Mal hat Hans-Dietrich Genscher in den Jahren 1974 bis 1989 Halle besucht. Vor allem bei seinem Cousin in Lieskau war er häufig zu Gast, dort oft kurz vor Weihnachten, jedoch auch zu Familienfeiern wie etwa zur Silberhochzeit 1981. Aber auch die Händelfestspiele waren mehrfach Grund der Reise, etwa 1987 und 1989. In allen Fällen übernachtete er im damaligen Interhotel am Riebeckplatz (früher Thälmannplatz). Genscher betonte immer, dass seine Besuche rein privater Natur sind. Teilweise wurde der Außenminister jedoch von Sicherheitsbeamten und einem Fahrer begleitet. (mz)

Ein sechsseitiger Abschlussbericht über den Besuch bei der Hochzeit widerspricht zum einen dem riesigen Aufwand, den die Stasi betrieben hat auch der Realität. Heißt es in einem Bericht, der unmittelbar nach dem Polterabend von einem Leutnant des MfS verfast worden war: „Insgesamt kann eingeschätzt werden, dass der Besuch als Großereignis gewertet wurde.“ Genscher war zwar nur von 22.30 Uhr bis 23.10 Uhr vor Ort, trank wie jeder andere ein paar Bier und hielt keine Reden - aber beim Abschied, so der Bericht, versuchten einige Gäste, Genscher zu applaudieren, „das ging in der Masse der Personen unter“.

Genscher schenkt der Kirche Lieskau 300 Meter Kabel für Sanierungsarbeiten

Der Leutnant notierte auch, dass Genscher der Kirche Lieskau 300 Meter Kabel für Sanierungsarbeiten geschenkt hatte. Der offizielle Abschlussbericht enthält davon keine Silbe: „Die zeitweise Anwesenheit des Genscher im Kreis der 75 Polterabendgäste führte zu keinem besonderen Höhepunkt im Ablauf.“

Trotzdem wurde für die Trauung im Stadthaus am nächsten Tag - an dem auch Genscher und seine Frau teilgenommen haben - durch „entsprechende politisch-operative Maßnahmen eine geeignete Person als Standesbeamte eingesetzt“, die sich in ihrer Trauung auf das Wesentliche konzentrieren sollte.

Auch wenn rund 200 Personen nach der Trauung vor dem Stadthaus standen - sicher auch weil sich der Genscher-Besuch herumgesprochen hatte - so kam es laut Akten zu keinen Kontakten zwischen Schaulustigen und Genscher. Daher gab es auch beste Schulnoten für den Politiker: „Genscher verhielt sich korrekt und zurückhaltend und war von sich aus daran interessiert, so wenig wie möglich in der Öffentlichkeit wirksam zu werden.“ Ähnliche Beurteilungen erhielt er bei allen seiner DDR-Besuche.

Dabei hatte der Besuch, den Genscher immer wieder als inoffiziellen und privaten erklärt hatte, eine sehr große politische Brisanz. Genscher traf sich am 27. Mai 1982 um 15 Uhr zu einem 70-minütigem Gespräch mit dem LDPD-Vorsitzenden Manfred Gerlach in Halle. Keines falls geheim, auch hierzu gibt es ausführliche Berichte in den Akten. Genscher drängte in dem Gespräch auf Verbesserungen in den Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR, die Senkung des Mindestumtauschs, die Erleichterung der Begegnungen zwischen Ost und West. Doch Genscher biss bei Gerlach auf Granit.

„Genscher verfolgte mit diesem Gespräch das Ziel, bei seiner Rückkehr in die BRD auch nachweisen zu können, dass er die stereotypen Forderungen der BRD nach Senkung des Mindestumtausch und Reiseerleichterungen an den Mann gebracht habe“, heißt es in einem Bericht über das Gespräch. Genscher habe eine „äußerst legere, um nicht zu sagen teils arrogante Haltung“ an den Tag gelegt, ärgern sich die Funktionäre über das Gespräch.

Doch Genscher bleibt entspannt: Nach dem Zusammentreffen gibt er der Bundesgeschäftsstelle der FDP in Bonn telefonisch durch, dass das Zusammentreffen mit Gerlach keinesfalls öffentlich gemacht werden soll und dass man auf den privaten Charakter der Reise verweisen soll. (mz)

Hans-Dietrich Genscher mit seiner Frau Barbara
Hans-Dietrich Genscher mit seiner Frau Barbara
BSTU